Sonntag, 6. Januar 2013

-Die Weise von Liebe und Tod - Rainer Maria Rilke

Bild aus Wikipedia (Rainer Maria Rilke)

DAS STUNDENBUCH 
Stilistische Untersuchung der Gedichte:
Was „Die Weise von Liebe und Tod..“ (1899) zum bekanntesten und geliebtesten Stück in Rilkes Werk gemacht hat, trifft weitgehendst auch auf das Stundenbuch zu, besonders den ersten Teil, (auf den ich mich von nun an der Kürze halber als „Stundenbuch“ beziehe): Es ist die unverbindliche Inspiration, die sich auf den Flügeln eines unvergleichlichen klanglichen und rhythmischen Zaubers dem Leser mitteilt. Er berauscht sich am Rausch des Dichters, dem der „Cornet“ in einer einzigen Nacht aus der Feder geflossen ist, der „Die Geschichten vom lieben Gott“ (1900) in sieben aufeinanderfolgenden Nächten aus sich herausgeschrieben hat. 

Das Buch vom mönchischen Leben selbst ist vom 20. Sept. bis zum 14. Okt. 1899 entstanden, fünfundsechzig Gedichte in weniger als einem Monat. Rilke selbst sagte vom Stundenbuch, es sei ein einziges Gedicht, und zu Katharina Kippenberg: „Ich hätte endlos ähnliche Verse weiterdichten können.“ (emde, p.79.) 
Im „Malte finden wir ergänzend: „Verse sind nicht, wie die Leute meinen, Gefühle (die hat man früh genug), - es sind Erfahrungen.“ 
(Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, Leipzig, Insel Verlag, 1927 u. ges. Werke, Bd.p. 25.)
In den ersten zwei Gedichten des „mönchischen Lebens“ finden wir die Situation und Schaffensweise des Dichters und wahrscheinlich auch einen Fingerzeig zur Deutung des Titels „Stundenbuch“. Ist nicht in Wirklichkeit das Stundenbuch das Buch aller der Stunden, die sich zum Dichter „geneigt“ haben? Diese Gedichte sind nicht als auf einer Willensanstrengung beruhende Leistung gesehen. Sie haben den spontanen, Charakter von Gebeten, Meditationen und Zwiegesprächen mit Gott eines (sehr unorthodoxen!) Mönches.


Der Dichter wird von der Stunde angerührt; sie macht seine Sinne erzittern, und er fühlt „ich kann und ich fasse…“  Seinen reifen Blicken ist die Schöpfung anheimgestellt, durch sie erst ist alles geworden. Seine alles umfassende Liebe erhebt das Kleine und Unscheinbare, malt es auf Goldgrund.“

Ein schwingender, stark betonter Rhythmus, von lauter steigenden Versfüssen (Jamben und Anapästen) angetrieben, führt in abwechselnden Drei–und Vier–Heber–Versen diese Gedanken Welle heran. Die dynamische Kraft, die vor allem in den Anapästen liegt, und die sich in der letzten Strophe häufenden, weiterdrängenden „und“ erzeugen die Bewegung des Hingetriebenwerdens. Es sind nicht zuerst die Gedanken, die Gestalt suchen, sondern es ist das Glück der schöpferischen Stunde, das sich in Bewegung und Klang ergiesst und die Gedanken als leichte Fracht mitbefördert. Ursula Emde zitiert Schiller, der Klopstock einen musikalischen Dichter genannt hat:

“Ich sage musikalischen, um hier an die doppelte Verwandtschaft der Poesie mit der Tonkunst und der bildenden Kunst zu erinnern. Je nachdem nämlich die Poesie entweder einen bestimmten G e g e n s t a n d nachahmt, wie die bildenden Künste tun, oder je nachdem, wie die Tonkunst, bloss einen bestimmten Zustand des Gemüts hervorbringt, ohne dazu eines bestimmten Gegenstandes nötig zu haben, kann sie bildend (plastisch) oder musikalisch genannt werden.“
U. Emde fügt hinzu: “In diesem Sinne ist der frühe Rilke ein musikalischer Dichter. Es geht seiner Kunst nicht um die Darstellung eines einheitlichen, abgerundeten Bildes, sondern um die Erzeugung einer Stimmung. Lange Bilderfolgen ohne klar ersichtlichen örtlichen, zeitlichen, oder logischen Zusammenhang hindern die Herausbildung einer einheitlichen Gesamtvorstellung.“ (Emde, p. 78) 
(1)
Du entfernst dich von mir, du Stunde
Wunden schlägt mir dein Flügelschla
Allein! was soll ich mit meinem Munde?
Mit meiner Nacht? Mit meinem Tag?
Ich habe keine Geliebte, kein Haus,
keine Stelle, auf der ich lebe.
Alle Dinge, an die ich mich gehe,
werden reich und geben mich aus.

Weitgehend findet sich das in Gedicht (1) bestätigt. Die erzeugte Stimmung ist ein eben erstehendes Daseinsgefühl, begabt mit Schöpferkraft und einem liebenden Allbegreifen, das von ferne an Schiller “Ode an die Freude“ erinnert. Und gemahnt  nicht der Rhythmus von

“und ich fasse den plastischen Tag“
An den reissenden Fluss einer schillerschen Ballade?:
“und es brauset und wallet und siedet und zischt
 Wie wenn Feuer mit Wasser sich mengt“

Nur dass dort der Klangdynamik die Spannung einer beherrschenden Handlung resp. Beschreibung entspricht, während es sich hier um Lyrik handelt, deren symbolische Bilder frei aus dem innern Erleben gegriffen werden. Umso selbstherrlicher wirkt die gewählte Form.Die Motive zwar, die wie zufällig hereingetragen sind, kündigen Grundthemen des ganzen Stundenbuches an, die auch im späteren Werk mit erstaunlicher Treue festgehalten, abgewandelt, entwickelt werden.Da ist die schon erwähnte Stunde, die die Gnade des Schaffens birgt. Dieses Schaffensprinzip des mehr zum Erleiden als zur Tat bestimmten Dichters wurde unter Rodins Einfluss in dem Ringen um das Immer–Arbeiten–Können vorübergehend verleugnet, brach dann aber im Spätwerk als Rilkes ureigenste Schaffensweise wieder hervor, auf einer höhen Ebene, durch Leiden geläutert. 

Nr. 2

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