Montag, 31. März 2014

سهراب سپهري - با خشونت هرگز... - Sohrab Sepehri

foto: Internet

درسي از سهرا ب
سخت آشفته و غمگین بودم
به خودم می گفتم: بچه ها تنبل و بد اخلاقند
دست کم میگیرند
درس ومشق خود را…
باید امروز یکی را بزنم، اخم کنم
و نخندم اصلا
تا بترسند از من
و حسابی ببرند…
خط کشی آوردم،
درهوا چرخاندم...
چشم ها در پی چوب، هرطرف می غلطید
مشق ها را بگذارید جلو، زود، معطل نکنید !
اولی کامل بود،
دومی بدخط بود
بر سرش داد زدم...
سومی می لرزید...
خوب، گیر آوردم !!!
صید در دام افتاد
و به چنگ آمد زود...
دفتر مشق حسن گم شده بود
این طرف،
آنطرف، نیمکتش را می گشت
تو کجایی بچه؟؟؟
بله آقا، اینجا
همچنان می لرزید...
” پاک تنبل شده ای بچه بد ”
" به خدا دفتر من گم شده آقا، همه شاهد هستند"
” ما نوشتیم آقا ”
بازکن دستت را...
خط کشم بالا رفت، خواستم برکف دستش بزنم
او تقلا می کرد
چون نگاهش کردم
ناله سختی کرد...
گوشه ی صورت او قرمز شد
هق هقی کردو سپس ساکت شد...
همچنان می گریید...
مثل شخصی آرام، بی خروش و ناله
ناگهان حمدالله، درکنارم خم شد
زیر یک میز،کنار دیوار،
دفتری پیدا کرد ……
گفت : آقا ایناهاش،
دفتر مشق حسن
چون نگاهش کردم، عالی و خوش خط بود
غرق در شرم و خجالت گشتم
جای آن چوب ستم، بردلم آتش زده بود
سرخی گونه او، به کبودی گروید …..
صبح فردا دیدم
که حسن با پدرش، و یکی مرد دگر
سوی من می آیند...
خجل و دل نگران،
منتظر ماندم من
تا که حرفی بزنند
شکوه ای یا گله ای،
یا که دعوا شاید
سخت در اندیشه ی آنان بودم
پدرش بعدِ سلام،
گفت : لطفی بکنید،
و حسن را بسپارید به ما ”
گفتمش، چی شده آقا رحمان ؟؟؟
گفت : این خنگ خدا
وقتی از مدرسه برمی گشته
به زمین افتاده
بچه ی سر به هوا،
یا که دعوا کرده
قصه ای ساخته است
زیر ابرو وکنارچشمش،
متورم شده است
درد سختی دارد،
می بریمش دکتر
با اجازه آقا …….
چشمم افتاد به چشم کودک...
غرق اندوه و تاثرگشتم
منِ شرمنده معلم بودم
لیک آن کودک خرد وکوچک
این چنین درس بزرگی می داد
بی کتاب ودفتر ….
من چه کوچک بودم
او چه اندازه بزرگ
به پدر نیز نگفت
آنچه من از سرخشم، به سرش آوردم
عیب کار ازخود من بود و نمیدانستم
من از آن روز معلم شده ام ….
او به من یاد بداد درس زیبایی را...
که به هنگامه ی خشم
نه به دل تصمیمی
نه به لب دستوری
نه کنم تنبیهی
یا چرا اصلا من
عصبانی باشم
با محبت شاید،
گرهی بگشایم
با خشونت هرگز...
با خشونت هرگز...
با خشونت هرگز...

آنگاه که غرور کسی را له می کنی، آنگاه که کاخ آرزوهای کسی را ویران می کنی، آنگاه که شمع امید کسی را خاموش می کنی، آنگاه که بنده ای را نادیده می انگاری ، آنگاه که حتی گوشت را می بندی تا صدای خرد شدن غرورش را نشنوی، آنگاه که خدا را می بینی و بنده خدا را نادیده می گیری ، می خواهم بدانم، دستانت رابسوی کدام آسمان دراز می کنی تابرای خوشبختی خودت دعا کنی؟

سهراب سپهري

Samstag, 22. März 2014

Johann Wolfgang von Goethe Gallerie

Goethe und die Muse
(Zueignung)
Das Motiv zu dem Bilde, mit dem wir beginnen, ist jenem erhaben, lieblichen Gedichte entnommen, welches in Goethes Werken den Reigen eröffnet, und die „Zueignung“ überschrieben ist.
Der Dichter kniet auf dem höchsten Gipfel eines Berges vor einer himmlischen Gestalt, die ihm aus dem Wolkendunst, welcher ihn rings umgibt, entgegen, schwebt. Es ist die Muse, die ihren Liebling zu einer beweisen. Hoheit und Wilde thronen auf der  dem schönen Antlitz. Aus der über das Haupt erhobenen Rechten fliesst ein Schleier in weiten, wehenden falten herab; in der ausgestreckten Linken hält sie eine Lorbeerkrone über den Knieenden. Seine Augen sind in Andacht zu der himmlischen Erscheinung erhoben, die Arme in einer bescheiden dankbaren Haltung ausgebreitet; der leise geöffnete Mund scheint zu sagen:

Du schenktest mir der Erde schönste Gaben,
und alles Glück will ich durch dich nur haben.
Es ist vielleicht eine unmögliche Aufgabe für den Künstler, den allegorischen Sinn des Gedichtes fasslich wiederzugeben. In dem Gedichte reicht die Göttin „den reinsten Schleier, der um sie in taufend falten schwoll“ mit den Worten:
Empfange hier, was ich dir lang, bestimmt!
Dem Glücklichen kann es an nichts gebrechen,
der dies Geschenk mit stiller Seele nimmt:

aus Morgenduft gewebt und Sonnenklarheit,
der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit.

Dieser allegorische Schleier konnte auf dem Bilde offenbar nur eine untergeordnete Handlung zu Grunde liegende Idee nicht hervortreten. Der Künstler, der an seine Mittel gebunden ist, hat deshalb vorgezogen, den Schleier nur zu einer Drapierung der Göttin zu verwenden, und aus der Dichterweihe eine Dichterkrönung zu machen.
Eine andere Schwierigkeit lag in dem Kostüm. Wer denkt beim Lesen der „Zueignung“ an Kostüm! Wer würde nicht in eine Sphäre erhoben, „wo keine Kleider, keine Falten umgeben den verklärten Leib“! Aber der Künstler musste daran denken und seine Wahl treffen. Unser Blatt zeigt uns nun den schönen Jüngling Mann, der an dem Hofe Karl Augusts die Herzen im Sturme eroberte. Ein weisses Tuch ist lose um den Hals geschlungen, ein Frack mit breiten Schössen, aus dessen weiten Ärmeln die kostbaren Manschetten hervor, sehen, umhüllt den Leib; kurze Beinkleider mit Strümpfen und Schnallenschuhen vollenden den Anzug. Der unvermeidliche Begleiter des prosaischen Fracks, ein wallender Mantel, fliesst von der Schulter und sucht, weit hinterher auf der Erde schleppend, seiner poetischen Aufgabe möglichst gerecht zu machen. 
Lotte
(Werthers Leiden) 
Wer kennt sie nicht, die reizende Geschichte, wie Werther Lotte zum Ball abholen will und sie beim Butterbrotschneiden unter ihren Geschwistern überrascht! Diese so reizende Geschichte. Hat sie doch ein jeder von uns gelesen – nein nicht gelesen! – mit erlebt; ist doch ein jeder von uns mit seiner Tänzerin, „einem guten, Schönen, übrigens unbedeutenden Mädchen“, und ihrer Nase in der Kutsche durch den ausgehauenen Wald gefahren, um Charlotte… abzuholen, und hat die Sonne beobachtet, die nur noch eine Viertelstunde vom Gebirge entfernt war, und die weissgrauen Gewitterwölkchen, und hat feine ängstlichen Begleiterinnen mit anmasslicher  Wetterfunde getäuscht; ist dann, als der Wagen am Hofthor hielt, hinabgesprungen, durch den Hof nach dem wohlgebauten Hause gegangen, die vorliegende Treppe hinaufgestiegen, in die Thüre getreten und – welch ein Bild, das sich nun plötzlich seinen erstaunten Augen zeigt! Da mitten im Zimmer und mitten in einer wimmelnden Schar von Kindern steht ein schönes, schlankes Mädchen im einem einfachen geschmackvollen Ballanzuge – weisses, etwas tief ausgeschnittenes Kleid, wie es die Mode verlangt.
Das schöne, reiche haar gleichmässig aus dem Gesicht gekämmt und oben zu einem Toupet aufgebauscht, das ein Kranz von natürlichen Rosen, der hinten in einer Schleife endigt, umgibt. Das ist, ein paar Schleifen an Busen und Armen nicht zu vergessen, ihr ganzer Schmuck, nein, nicht ihr ganzer Schmuck! Oder wäre das grosse Schwarzbrot, von dem sie eben, es fest gegen den schönen Busen drückend, ein Stück abschneidet, fein Schmuck für diese so holde, jungfräuliche Mutter? Ihr Gesicht mit den bedeutenden Zügen ist ruhig und ernst; die schönen braunen Augen blicken auf die Kinderschar herab und scheinen dasjenige aufzusuchen, welches „dieses Stück haben soll“. Das Stück ist noch nicht ganz abgeschnitten; es kann noch ein wenig grösser gemacht werden, und dann wird es wohl der pausbäckige prächtige Bengel bekommen, der ordentlich kläglich bittend zu der Götter Gestalt der grossen Schwester hinaufschaut. Einige sind schon abgefunden. Zuvörderst das Kind bei dessen Geburt die Mutter starb und die achtzehnjährige Lotte zur Mutterstelle berufen wurde, das rechts im Vordergrunde auf einem hohen Kinderstühlchen sitzt, in voller Werdelust sich schon beider Schuhchen und eines der Strümpfchen entledigt hat und eben daran ist, mit den kleine, wie Hände  beweglichen Füssen das andere Strümpfchen auch herunter zu streifen. Alle zweiunddreissig Zähne hat es nun wohl noch nicht; jedenfalls müssen die, welche es hat, gut sein, denn es beisst wacker in sein Stück Brot. Auch der älteste Junge hat in sein Stück Brot schon wacker hineingebissen und seine ganze linke Backe mit Butter beschmiert. Jetzt soll Schwester Sophie auch abbeissen; Schwester Sophie, die, wenn Lotte weggefahren ist, das Regiment führt, trotzdem sie nur elf Jahre, und also mehrere Jahre jünger als der Wildfang von Bruder ist, und mit ihrer Haube auf dem Kopfe und dem Stricktrumpf in der Hand die mangelnden Jahre durch ein klein wenig pedantische Würde zu ersetzen sucht. Sie wird wohl ihre liebe Not haben, das kleine Hausmütterchen! Von dem zweitältesten Bruder wenigstens, der hinter Lottens Rücken, halb im Übermut und halb in schalkhafter Naschhaftigkeit , heimlich nach den Früchten in der Schale auf dem Spielgeltisch langt, sind wir nicht sicher, ob er nicht manchmal, wie zum Beispiel schon in diesem Augenblicke, die Rute verdient, deren Griff so ominös gerade über seinem Lockenkopf hinter dem Spiegel hervorragt.
Und welch schalkhafter Humor in diesen Windeln auf dem Kinderstühlchen; diesem Hemdchen, das so ungeniert aus dem Höschen des kleinen Buben hervorschaut, der sich auf die Fussspitzen hebt, und seine Schwester, hoffen wir mit nicht allzu schmutzigen Händen, in das schöne weisse Ballkleid fasst! Und nur schaue man auf dieses Paar im Vordergrunde, auf dieses ausgeleierte Hottepferd mit dem eckigen Stumpfschwanz und die Katze, die mit dem langen Schwanz so zierlich ringelt, wie sie sich, das tote Hottepferd und die lebendige Katze, so grimmig aus ihren Schielaugen anblicken! 
Adelheid
(Götz von Berlichingen)
Es ist bezeichnend für Goethe Temperament, zum wenigsten für das Temperament des jungen Goethe, dass er sich, wie er selbst erzählt, von der Gestalt der Adelheid, die seine freie Schöpfung war – denn die Selbst Biographie des Ritters mit der eisernen Hand weiss wohl von einen Ritter Fabian von Walldorf, aber nichts von einer schönen Witwe Adelheid von Walldorf – im Anfang gänzlich bezaubern liess. Pygmalion entbrannte in Liebe zu seiner Galathea, der  Schöpfer kniete anbetend vor seiner Statue! In der Tat ist die erste Bearbeitung des Schauspiels der beste Beleg zu diesem naiven Selbstbekenntnis. In dieser ersten Bearbeitung, die übrigens nebenbei die bei weitem genialste ist, spielt Adelheid eine noch viel bedeutendere Rolle, als in den andern beiden. Hier ist sie nur ein schönes, buhlerisches Weib; dort ist sie der Dämon der sinnlichen Liebe selbst, vor der sich alles in den Staub wirkt, Ritter und Knappe, Zigeunerhauptmann und Zigeunerbub, der ausgesandte Mörder der heiligen Dehme, ein tötliches schönes Gespenst, ein Vampyr, eine Teufelin, die sich mit dem Herzblut der Unglücklichen nährt, die ihr versengender Blick getroffen hat.
Das Motiv zu dem Bilde ist aus der ersten Szene des II Aktes genommen.    Ein Saal aus dem Palast des Bischofs zu Bamberg. Der Bischof und Adelheid spielen Schach. Der Bischof, eine alte, zusammengefallene Gestalt im priesterlichen Hausrock, das Käppchen auf dem Kahlen Haupt, sitzt in einem grossen Lehnstuhl, dem Beschauer fast den Rücken zukehrend. Er geht ganz in dem Spiel auf; die herunterhängende Oberlippe, das nachdenkliche Gesicht zeigen, dass er über den Zug, den er eben thun will, noch nicht ganz im Klaren ist. Adelheid sitzt ihm gegenüber auf einem Sopha. Das Spiel interessiert sie nicht, oder wenigstens nicht mehr. Sie sieht den Bischof mit einem listigen Blick, der viel von dem Blicke der Katze hat, die nahe neben ihr auf dem Sopha liegt, an; aber sie will sich nur wohl versichern, dass die Aufmerksamkeit des alten Mannes ganz dem Spiel zugewandt ist, im nächsten Momente wird sie nach links einen koketten Blick werfen, zu sehen, ob Franz, welcher die eine Hand auf die Seitenkissen des Sofas stützend, in der Thür lehnt und sie mit dem verschlingenden Ausdruck glühendster, verzehrender Leidenschaft anstarrt, wohl den Sinn des Liedes verstanden hat, das zu ihrer Rechten der höfische Liebetraut zur Zither singt.

Mit Pfeilen und Bogen
Tupido geflogen,
Die Fackel in Brand –
Da fand er die Busen
Ach, leider so bloss,
sie nahmen so willig
Ihn all` auf den Schoss
Er schüttet die Pfeile
Zum Feuer hinein,
Sie herzten und küssten
Und wiegten ihn ein.
Gei ei o! Popeio! 

Wie er sich hebt auf den Fussspitzen, der verlebte Höfling, um mit widerlichem Lächeln den Anblick der Reize zu geniessen, die Tupido auf seinem Fluge „ach, leider so bloss“ findet! Wie zierlich er die Leier hält, wie kokett er beim Singen den durchaus nicht mehr mit allen Zähnen versehenen Mund öffnet!
„Ich wollte meinen Vater ermorden, der mir diesen Platz streitig machte!“   Armer Franz! Aber solche Gedanken kommen einem Weltkinde, wie Dir beim Anblick eines solchen Weibes, beim Anhören solcher Lieder! Und was flüstert Dir denn da der aufgedunsene Pfaff mit dem grotesk sinnlichen Gesicht, der Abt, oder wie ihn Liebetraut nennt, das Weinfass von Fulda, ins Ohr? Gewiss erklärt Dir der heilige Mann den Sinn und die Bedeutung der Wandgemälde: was es für eine Bewandtnis hat mit dem Apfel, den Eva dem Adam zu kosten gab, und mit dem Baum der Erkenntnis, und warum der Tod der Sünde Sold sei; und weshalb Moses ob Deinem Haupte so feierlich auf die Gesetzestafel deutet, und warum der Engel auf dem Knauf der andern Säule so verzweiflungsvoll das Antlitz, mit beiden Händen verhüllt!
Iphigenie 
(Iphigenie auf Tauris)
Trifft man denn gar wieder einmal auf eine Arbeit von Raffael, aber die ihm wenigstens mit einiger Wahrscheinlichkeit zugeschrieben wird, so ist man gleich, vollkommen geheilt und froh. So habe ich eine heilige Agathe gefunden, ein kostbares, obgleich nicht ganz wohl erhaltenes Bild. Der Künstler hat ihr eine gefunde, sichere Jungfräulichkeit gegeben, doch ohne Kälte und Rohheit. Ich habe mir die Gestalt wohl gemerkt und werde ihr im Geist meine Iphigenie verlesen und meine Heldin nichts sagen lassen, was diese Heilige nicht aussprechen möchte.
Wie weit die Gestalt der Iphigenie der vom Dichter bewunderten Heiligen ähnlich ist – wir wüssten es nicht zu sagen; das aber können wir mit Bestimmtheit behaupten: wenn jenes Heiligenbild auszusprechen verdient, was Goethe seiner Iphigenie in den Mund legt, so muss es ein überaus Frauengestalten der höchste Ausdruck seiner Idee vom Weibe, der In begriff gleichsam des „ewig Weiblichen“, das Ideal seiner Ideale, die Priesterin einer gütigen Gottheit, ja die Vertreterin der Gottheit auf Erden, der beseligende Genius der Menschlichkeit, die da „edel sei, hilfreich und gut“.
So wandelt die Hohe, Unvergleichliche durch Goethes Dichtung, ein wildes Barbaren Volk zu milderen Sitten bekehrend, die rauhe Leidenschaft des Königs zügelnd, den unseligen Bruder von dem Fluch der Götter erlösend, die Arglist des Freundes mit ihrer Wahrhaftigkeit durchkreuzend, den jäh auflodernden Streit der Männer beschwichtigend, alles mild und gut zum guten Ausgang führend, - und so hat sie der Künstler darzustellen versucht. Eben hat sie sich dem Bruder entdeckt, aber durch den Nebel des Wahnsinns, der seine Augen umschatet, weiss er die Gefundene nicht zu erkennen; schilt „einer Schwester reine Himmelsfreude unbesonnene, strafbare Lust“. Und als er nun vor dem Strahl der Wahrheit, der von ihrer reinen Stirn leuchtet, das Auge nicht länger verschliessen kann, da entzündet dieser Strahl in dem zerrissenen Busen nicht Glück und Entzücken, da sieht er nur in der Schwester die Priesterin der tötlichen Gottheit, in sich selbst das Opfer, in diesem Zusammentreffen nur die letzte Folge des Fluches, der auf Lantalus Hause liegt.
Er beklagt, dass Elektra nicht zugegen sei, damit auch sie mit ihnen zu Grunde gebe; er dankt den Göttern, dass sie ihn ohne Kinder auszurotten beschlossen haben. Komm, ruft er der Schwester zu:

Komm kinderlos und schuldlos mit hinab!
Du siehst mich mit Erbarmen an? Lass ab!
Mit solchen Blicken suchte Klytemnästra
Sich einen Weg nach ihres Sohnes Herzen;
Doch sein geschwung`ner Arm traf ihre Brust.
Die Mutter fiel! – Tritt auf, unwill´ger Geist!
Im Kreis geschlossen tretet an, ihr Furien,
Und wohnet dem willkomm´nen Schauspiel bei,
Dem letzten, grässlichsten, das ihr bereitet.

Und da treten sie heran, da lagern sie auf der Schwelle des heiligen Raumes, den sie nicht betreten dürfen. Orest verhüllt sein Antlitz die Grauengestalten nicht zu sehen, sich selbst nicht zu sehen, denn sie sind – er selbst: sein eigenes Gewissen, „die ewige Betrachtung des Geschehenen“, das Bewusstsein seiner Untat, seiner Schuld; sie sind: die Verzweiflung und die Reue und das Mitleid, das thränenreiche, hilflose Mitleid, das wir, wenn das Unglück seine scharfen Krallen in unser Herz schlägt, mit uns selber haben.
Und unendliches Mitleid liegt in den feuchten, strahlenden Augen, in den leise zuckenden Lippen Iphigeniens; aber es ist nicht hilflos dieses Mitleid, es ist der Hilfe voll, ist voll der Kraft zu lösen, zu erlösen. Erhebe dich, Orest, aus der Liese deines Falls!
Apoll gab dir das Wort:´
"im Heiligtum der Schwester
Sei Trost und Hilf´ und Rückkehr dir bereitet.
Der Götter Worte sind nicht Doppelsinnig."
 Dorothea und die Auswanderer
Hermann und Dorothea
Aus Lessings Laokoon wissen wir, dass eine Situation, weil sie dichterisch ist und von einem Dichter geschildert wurde, darum noch kein günstiger Vorwurf für den Künstler zu sein braucht; dass der Künstler diese Situation oft gar nicht darstellen kann, oder gezwungen ist, sie wesentlich zu modifizieren, um sie für seine Zwecke brauchbar zu machen. Unsere Galerie bietet für diese ästhetischen Wahrheiten die merkwürdigsten Belege; der nicht zum wenigsten merkwürdige ist das vorliegende Blatt.
In dem Gedichte strömt, als Hermann mit seinem Wagen aus der Stadt kommt, die zurückkehrende Menge der Bürger mit Weibern und Kindern ihm entgegen; der Zug der Vertriebenen ist bereits fern, hat das Dorf, wo man zu übernachten und zu rasten sich vorgenommen, wohl schon erreicht, die Strasse ist wieder leer geworden; der Wagen, der Dorothea führt, ist der letzte von allen. indem der Dichter die Heldin so von dem wüsten Durcheinander der Auswanderer absondert, erleichtert er sich offenbar sein Geschäft wesentlich.
Der Jüngling braucht nicht lange zu wählen, wem er die Liebesspende reichen soll – hier ist, was er sucht. Dorothea ihrerseits kann sich ohne Unbescheidenheit an den Helfer in der Not wenden. Das Zwiegespräch zwischen den beiden ist so schicklich wie möglich. Der Jüngling gibt ihr das alte Linnen hin, er gibt ihr auch die Vorräte an Speisen und Getränken, damit sie dieselben, bei den Ihrigen angekommen, nach ihrem besseren Ermessen verteile.
Ohne Zweifel wird dem Künstler, der an diese Szene herantritt, der Wagen mit der Wöchnerin und dem schönen Mädchen, das neben den Ochsen, „den grössten und stärksten des Auslands“ herschreitet, die beiden gewaltigen Tiere mit langem Stabe klüglich lenkend, immer die Hauptsache sein, denn das alles gibt an und für sich schon ein hübsches Genrebild.
Die Überreichung der Gegenstände selbst ist ein so kompliziertes Geschäft, dass künstlerisch nicht viel damit anzufangen ist; auch stört das Gespann Hermanns, das den Raum unnötig verengt, und von dem sich der Jüngling doch nicht weit entfernen kann, sobald mit der Auslieferung der Liebesspenden Ernst gemacht wird. Aber dies ist noch nicht alles. Ein einzelner Wagen ist noch kein Auswandererzug. Es fehlt der Duft – oder sollen wir sagen: der Staub? – der Situation, wenn wir von den Vertriebenen selbst, von den Bewohnern des Städtchens, die den Zug an sich vorüberziehen lassen, nichts mehr sehen. – Das hat Kaulbach wohl bedacht und er hat deshalb mit kühner Freiheit in sein Bild hineingezogen, was er als Künstler nicht entbehren zu können glaubte.
Zuerst der Zug der Auswanderer! In dem mehrfach gewundenen Thale zwischen den Hügeln wälzt er sich heran in unabsehbarer Länge. Mit allerlei Hausrat, Frauen Kindern, Greifen überladene, von Pferden hier, von Ochsen dort mühsam fortgezogene Wagen.
Der dichte Staub, der hinten aussteigt, zeigt an, wie viele noch nachkommen werden. Auf dem mit einem Wäldchen gekrönten Hügel im Hintergrunde rechts haben sich die Bewohner des Städtchens gesammelt. Das Wäldchen ist ein beliebter Vergnügungort der ehrenfesten Bürger. An Sonn, und Feiertagen erfreuen sie sich dort mit Weibern und Kindern bei einer Tasse Kaffee, bei einem Glase Bier der lieblichen Abendkühle, des farbenreichen Sonnenuntergangs. Wie anders sind heute die Szenen! Die Jungen sind in die Bäume geklettert und schreien Hurrah; sie stehen und wischen sich den Schweiss von der glühenden Stirn und fragen sich mit sorgenvollen Gesichtern, wie lange es wohl noch dauern wird, dass der Schäfer drüben ruhig seine Herde weidet; wie lange es dauern wird, bis auch durch dieses Thales tiefen Frieden des Krieges grimme Furie tobt?
So hat der Künstler einen reichen Hintergrund gewonnen, der ihm eine Menge der fruchtbarsten malerischen Motive gab und überdies zur Erklärung der Szene des Vordergrundes wesentlich beiträgt. Jetzt weiss man, wie die Wöchnerin dort eben hinauf auf den vollgepackten Wagen kommt, zwischen die Kästen, Körbe, Töpfe, Spinnrad und sonstigen Hausrat, samt den Kindern, die durch ihre Unruhe das unbequeme Nest noch unbequemer, und der guten alten gar viel zu schaffen machen, da sie mit dem einen Arm die wilden Jungen vor dem Herunterfallen schützen und in der andern Hand den Schirm über die arme Wöchnerin und den Säugling halten muss. Gute alte, was wird deine zitternden Glieder vermögen in der Stunde der Gefahr? Ja, wirst du auch nur heute Abend im Stande sein, die beiden Stiere abzuschirren? Sie zur Tränke zu führen? Ihnen Futter zu schaffen? Und Brot für die hungrigen Kinder, Speise und Trank der verschmachtenden Wöchnerin?
-  Du wirst es nicht vermögen! Und auch du nicht, prächtiger Junge, der du so wacker das schwere Bündel an der Grossmutter Regenschirm auf dem Rücken schleppt und trotz deines verwundeten Fusses so wacker ausschreitet, dass der grosse Neufundländer ordentlich Mühe hat mit dir gleichen Schritt zu halten!  Ihr beide könnt es nicht; nur sie kann es, vermag es, die Gute, Schöne, eurer Schutz und Schirm, eure Vorsehung – das schlanke, hochgewachsen Mädchen, das vor euch herzieht, wie der Stern der Verheissung. Bist du geblendet, Jüngling, der du eben von dem Wagen gesprungen bist und dir jetzt durch die Büsche zur Seite des Weges zu ihr hin Bahn bricht? Wohl darfst du es sein! Ist doch das Weib die Krone der Schöpfung, und dieses hier ist in der Krone die schönste Perle! Bist du ihrer wert? Ja, steht nur, steht! Und schaut euch an „mit jenem prüfenden, ahnungsreichen Blick, mit dem sich Menschen bei der ersten Begegnung und dann nie wieder anschauen; mit jenem Blick, der so wenig zu sehen scheint und doch so unendlich viel sieht, dass das ganze spätere Leben kaum hinreicht, den Kreis auszumessen, welchen dieser einige Blick umspannte“!
Hermann und Dorothea 
Die Goetheschen Gestalten haben das Eigentümliche, dass sie mit einer sinnlichen Klarheit und Schärfe der Umrisse gezeichnet sind, die sie aus dem Gebiete der Poesie hinaus in das der Malerei, oder noch besser, der Plastik zu rücken scheinen. Wilhelm von Humboldt hat in seinem geistvollen Essay über Hermann und Dorothea: „Ästhetische Versuche“ das Geheimnis dieser Goetheschen Kunst der Schilderung zu ergründen gesucht, und er findet es darin, dass unser Dichter immer nur das wahrhaft Charakteristische einer Gestalt hervorhebt und so die Phantasie des Lesers zwingt, genau in der von ihm gewünschten Weise und Richtung tätig zu werden.
Allerdings ist gerade „Hermann und Dorothea“ in jedem der neun Gesänge, ja wir möchten sagen, in jeder Zeile jedes Gesanges erfüllt von der herrlichen Kraft, mit welcher der Dichter alles: die landschaftliche Szenerie und das Innere des Hauses, ebenso die Gestalten der Menschen, die sich in dieser Landschaft, in diesem Hause bewegen. Zu schildern weiss. Wer hätte nicht Hermanns Mutter auf ihrem Gange durch den Garten und die Pforte des Gartens, den Weinberg hinauf, durch die Felder bis empor zum breitästigen Birnbaum, „dem grossen, der auf dem Hügel stand, die Grenze der Felder, die ihrem Hause gehörten“ – wer hätte – sagen wir – die treffliche Frau auf diesem Gange nicht begleitet und da alles mit leiblichen Augen zu sehen geglaubt? Und wer hätte jene Schilderung Dorotheens vergessen, wie sie Hermann den Freunden entwirft: 

„Dem wohl schwerlich ist an Bildung ihr eine Vergleichbar.
Aber ich geb´ Euch noch die Zeichen der reinlichen Kleider:

Denn der rote Latz erhebt den gewölbeten Busen,
schön geschnürt, und es liegt das schwarze Mieder ihr knapp an;
sauber hat sie den Saum des Hemdes zur Krause gefaltet,
die ihr das Kinn umgibt, das runde, mit reinlicher Anmut;
Frei und heiter zeigt sich des Kopfes zierliches Eirund;
Stark sind vielmal die Zöpfe um silberne Nadeln gewickelt;
Vielgefaltet und blau fängt unter dem Latze der Rock an,
und umschlägt ihr im Geb´n die wohlgebildeten Knöchel.“ 

Wie können wir nun in der Nacht, da Hermann seine Dorothea in die Wohnung seiner Eltern führt, die Liebenden so treu begleiten! Wie ist uns alles so vertraut und heimlich, wenn der Dichter singt:

"Und so standen sie auf und wandelten nieder, das Feld hin,
Durch das mächtige Korn, der nächtlichen Klarheit sich freuend;
Und sie waren zum Weinberg gelangt und traten ins Dunkel.
Und so leitet er sie die vielen Platten hinunter,
Die unbehauen gelegt, als Stufen dienten im Laubgang.
Langsam schritt sie hinab, auf seinen Schultern die Hände;
Und mit schwankenden Lichtern, durchs Laub überblickte der Mond sie,
Gh´ er, von Wetterwolken umhüllt, im Dunkeln das Paar liess.
Sorglich stützte der Starke das Mädchen, das über ihn herging."

Das ist die Situation, die Kaulbach zu seiner Darstellung gewählt hat. Der Liebende führt die Geliebte, die er sich in dem wüsten Drange des stürmischen Lebens durch die Schnelligkeit seines Urteils, die Kraft seines Entschlusses, durch die Festigkeit seines Charakters, durch die Milde seines Wesens redlich erworben, aus der Nacht, die mit einem Gewitter hereindroht, in die sichere Wohnung seiner Eltern, welche mit ihren matt erhellten Fenstern aus dem friedlich stillen Chale herausblickt. Er hat noch kein Wort der Liebe zu ihr gesprochen, und doch hofft er, dass sie ihn liebt. Sie weiss noch nicht anderes, als sass sie zum Dienst der Eltern geworben ist, und doch ahnt sie, dass sich aus diesem dienenden Verhältnis ein ganzanderes, herrlicheres entwickeln wird. Wie er, alles über der beseligenden Nähe der Geliebten vergessend, seinen Hut oben auf der Bank, auf der sie sich ausgeruht, hat hängen lassen, so schaut er ihr jetzt mit dem Blick unaussprechlicher Liebe in das holde Antlitz, und sie fühlt diesen Blick, ohne dass sie ihn sieht, und senkt die dunklen Wimpern auf die erglühenden Wangen. Selige Liebende! Ihr werdet noch oft diesen Pfad den Weinberg hinauf durch die Kornfelder zum Birnbaum wandern aber nicht allein!
Blühende Kinder mit den treuen blauen Augen des Vaters und dem dunklen glänzenden Haar der Mutter werden euch umspielen!  Ein herrliches Geschlecht wird um Euch aufwachsen – ein unsterbliches Geschlecht, denn wisst, Ihr Liebenden, Ihr seid nicht nur Geschöpfe der Poesie, Ihr seid, wahr und wahrhaftig der ewige herrliche Typus deutscher Treue und Keuschheit, deutscher Liebe und Bürgertugend.
 
Gretchen, zur Kirche gehend
(Faust)
Die erste Begegnung Fausts und Gretchens ist, wenn man sich streng an die Goetheschen Worte hält, sein günstiger Vorwurf für den Maler. Der Moment ist zu unruhig, zu flüchtig, und sowohl Gretchen wie Faust kommen dabei zu kurz; jene, weil „des Schnippische“ leicht zu stark accentuiert wird, dieser, weil ein Verschmähter, er mag sich stellen wie er will, immer etwas Lächerliches haben wird. Wenigstens muss es Kaulbach so erschienen sein; seine Auffassung weicht, wie der Leser sofort erkennen wird, ziemlich weit von dem Tert des Gedichtes ab.   
Die Szene ist der Platz vor dem Seiteneingange einer gotischen Kirche. Es ist vermutlich schon etwas spät; das Geläute, das die Gläubigen in den Tempel des Herrn rief, hat schon seit einigen Minuten aufgehört. Schon tönen Orgelklang und Gesang aus dem heiligen Raum. Eine Mutter mit ihrem halberwachsenen Töchterchen, das sie, es an der andern Hand führt, triff noch eben zuletzt hinein. Sobald sie herein ist, wird die Kirche geschlossen werden. Doch nein! Da kommt noch ein Gast zum Tempel des Herrn – ein wunderschönes Mädchen von sechzehn, siebzehn Jahren. Die hat sich noch mehr verspätet, aber sie ist nicht schuld daran. Sie hat erst die ganze Wohnung säubern und segen, sie hat dem Mütterchen, das krank zu Hause im Lehnstuhl sitzen bleibt, die Suppe kochen müssen, und hat sich dann erst anziehen können, wie es einem ehrbaren Bürgermädchen ziemt, das die Woche arbeitet und dann am Sonntag zeigen will, dass es auch „guter Leute“ Kind ist. Wenn sie gleich keine anderen Schmucksachen hat, als die dünnen Ohrringe, die vielleicht nicht einmal von Gold sind – umso sauberer muss die Krause sein, die den schlanken Hals umgibt, umso knapper muss das Wieder den schönen Busen umschliessen, umso sorgsamer muss das üppige blonde Haar aus dem Gesicht gescheitelt und in zwei Zöpfe geflochten werden, die so mächtig sind, dass sie des runden Nackens gar nicht einmal als eines Stützpunktes zu bedürfen scheinen. Ja, und weshalb soll sie nicht noch schnell in das Gärtchen hinter dem Hause eilen und sich ein grünes Kränzchen pflücken, es auf das schöne Haar zu Fetzen, und ein Blumensträusschen, es mit dem Gebetbuch und dem Rosenkranz in die Hand u nehmen? -  Darüber ist es denn allerdings ein wenig spät geworden, und das Mütterchen im Lehnstuhl hat zur Eile getrieben und gescholten, zuletzt aber doch stolz zufrieden gelächelt, als das schöne Töchterchen sich von ihr verabschiedet und mit einem „Behüt´dich Gott“ zur Thür hinausgeeilt ist. 
Und da kommt sie nun in dem vollem Glanze ihrer morgenfrischen Schönheit! Sie hat, eiligen Schritts und den Saum des langen Gewandes ein wenig hebend, die Kirchenthür fast erreicht, ihr Schatten fällt schon vor ihr her auf die Stufen – da  - wer sind die beiden Gestalten, die in diesem Moment aus der engen Strasse um die Ecke der Kirche treten? Den unheimlichen Gesellen mit den widerlich verzerrten Zügen und den Schielaugen, der die Kapuze über den Kopf gezogen, die Arme unter den Mantel geschlagen hat und sich halb hinter dem andern versteckt, bemerkt sie wohl kaum – aber der andere! Es ist eine hohe, majestätische Gestalt in ritterlicher Tracht, das Barett in der Hand, das Schwert an der Seite. Sein Haar bäumt sich wie eines Löwen Mähne über stolzen, Gedankenschweren Stirn und wallt in trotzigen Locken um das edel schöne Antlitz. Er hat, wie er eben mit seinem Begleiter, der ihn wohl nicht Absichtlos des Weges führte, an der Kirche die für jenen verschlossen ist, vorbei will, das Mädchen erblickt und bleibt, wie vom Blitze getroffen, stehen, den linken Arm in Erstaunen und Bewunderung gehoben und dem herrlichen Kinde mit den Dunkeln, jetzt in Leidenschaft blitzenden Augen nachschauend. Und Gretchen! 
Du hast in diese Augen geschaut und hast ihre Gewalt empfunden! Du wendest, unwillig über den kecken Blick des Unbekannten, das Gesicht ab und schreitest eilig weiter – aber dein eigenes, in süsser Starrheit gesenktes Auge zeigt, dass dir in dieser Minute eine Offenbarung geworden, und dass deine Ruhe hin ist, für immer hin! Nicht umsonst fiel ein dunkler Schatten vor dir her auf die Schwelle des heiligen Gebäudes! Heute wirst du noch aus dem vergriffenen Büchlein, das du da mit dem Rosenkranz und dem frischen Blumenstrauss in der Hand trägst, Gebete lallen, aber nicht mehr „halb Kinderspiele, halb Gott im Herzen“; sondern ihn, einzig ich, den schönen, stolzen, düstern Mann, der dir da darussen vor der Kirche begegnete, und dem du bald in dem lauschigen Garten hinter der Nachbarin Marthe Haus wieder begegnen sollst!...

 Gretchen
(Mater dolorosa)
Gretchen vor der Mater Dolorosa
(Faust)
Nicht umsonst fiel ein dunkler Schatten vor dir her auf die Schwelle des heiligen Gebäudes!... Armes Kind, wie ist der holde Traum deiner unschuldigen Liebe so bald verflogen! Arme, arme Rose, wie hat seitdem ein böser Wurm deinen holden Schmuck zerstört! Da liegst du nun in einer Seitenkapelle derselben Kirche auf den Stufen des Piedestal zu den Füssen der Schmerzenreichen Mutter die um ihre und ihres lieben Sohnes Not, der tot auf dem Schosse liegt, seufzend und Himmel blickt, und schreist aus der Tiefe deines Herzens: „ Hilf, rette mich von Schmach und Tod!“ – Jammer, Jammer, von keiner Menschenseele zu fassen! Die ärmste hat sich am frühesten Morgen aus ihrem Bette gestohlen. Sie hat nicht daran gedacht, das schöne Haar zu ordnen. Die üppigen Flechten fallen ihr, wie sie jetzt, zusammengebrochen, mit tiefgebeugtem Haupte sich auf die gefalteten Hände stützend, knieend daliegt, aufgelöst über Nacken und Arme. Sie hat nicht an Mieder und Kleid gedacht. Sie hat sich nur ein weites Laken übergeworfen, und das Laken gleitet der Knieenden von den Schultern und  zeigt einen Teil des Halses und Busens und die Arme bis über die Ellbogen bloss. Durch ein Fenster in der Mauer links fällt ein Sonnenstrahl in die graue Morgendämmerung der Kapelle, über das Piedestal und über die Gestalt der Knieenden. Aber sie sieht die Sonne nicht; sie will, sie kann die Sonne nicht sehen. Das schöne Haupt ist tiefgesenkt, ach, so tief! Wer von uns wagte einen Blick zu werfen in das Grammzerrissene Gesicht und die von Thränen überströmenden Augen der Unglücklichen!   

Von uns keiner – aber von den Weibern, die da um den Brunnen auf dem kleinen Marktplatz, auf welchen wir durch den weiten offenen Bogen der Kapelle blicken, herumstehen und die Köpfe zusammenstecken und sich in die Ohren tuscheln von dem Gretchen, dem stolzen Ding, das doch nun endlich zum Fall gekommen ist, und vor Verwunderung die Hände zusammenschlagen und das Wasser aus dem Eimer überlaufen, von denen möchten es alle! Sie haben kein Mitleid; sie empfinden nur gemeinste Schadenfreude, vor allen das derbe, üppige Mädchen mit dem frech entblössten Busen, das mit der Hand nach dem armen Gretchen deutet…

Dir roten Sonnenstrahlen spielen um die alten Bibelhäuser des Marktes. Die Tauben flattern aus dem Schlage in den Erkerturm an dem Eckhause. Die Erde ist so Frühlingsheiter, so jung, die Sonne so schön! Was weiss die Erde von all dem Jammer. Den sie trägt; was weiss die Sonne von der Unglücklichen, die vor dem Bilde der „Mater dolorosa“ sich windet in ihrer Todesnot!
 
Helena
(Faust)
Wer sie erkennt, der darf sie nicht entbehren! Wer sie in der Person der Helena personifizierte klassische Schönheit, die Schönheit griechischer Skulptur und Dichtkunst, erkannt hat, der darf, der kann sie nicht mehr entbehren, das ist die prosaische Erklärung der obigen Worte, die Faust, als er im Zauberspiele auf der kaiserlichen Hofburg die Vielumworbene zum erstenmal erblickt, aus tief bewegtem Herzen ruft. Dieser unwiderstehliche, wahrhaft dämonische Drang: sich durchgeisten zu lassen von der idealen Weihe, welche die Werke aus der Blütezeit der griechischen Kunst verklärt und sie für alle Zeiten dem strebenden Künstler zu einzig hohen Vorbildern macht, ist, wie es denn als das Merkzeichen unserer ganzen klassischen Dichtungperiode bezeichnet werden kann, auch das Thema jenes wunderlichen dritten Aktes im zweiten Teil des Faust: der Vermählung Fausts und der Helena das heisst: des deutschen Geistes mit dem griechisch=antiken Geiste. Denn zur Darstellung dieses kulturhistorischen Phänomens hat der Dichter das Motiv ausgebeutet, das ihm die alte Puppenkomödie bot. Dort ist der Besitz des schönsten Weibes einfach ein Sinnbild des ungemessenen irdischen Genusses, für den der Doktor Faustus seiner Seelen Seligkeit dem Teufel verkauft; aber der Goethesche Faust des zweiten Teiles wird nicht mehr von so naiver Genusssucht geplagt; er ist mittlerweile ein romantisches Gespenst geworden ohne eine Spur von der titanischen Kraft, die in dem Übermenschen des ersten Teiles sprüht, ja selbst ohne Sinnlichkeit, denn seine Liebe zur Helena ist gespenstisch und traumhaft, wie die Frucht dieser Liebe, Euphorion . ein geistreicher Einfall des Dichters ist.
Der zweite Teil des Faust wird im Allgemeinen nur noch wenig gelesen, auch bedarf es einer genauen Kenntnis desselben zum Verständnis unseres Bildes kaum. Nur von Euphorion, dem wunderbaren Sohne, welcher von dem hohen Elternpaare geboren ist, nachdem sie sich kaum unter schattigen Palmen in Liebe gesellt, scheint es nötig, einiges zu sagen. Bekanntlich ist unter diesem sonderbaren „Genius ohne Flügel, faunenartig ohne Tierheit“ kein geringerer als Lord Byron gemeint, dessen kurze, merkwürdige Laufbahn der Dichtergreis mit dem lebhaftesten Interesse verfolgte, auf dessen „grenzenlose Genialität“ er wiederholt zu sprechen kommt, und dem er nun hier in der Gestalt des Euphorion, der, flügellos, den höchsten Flug wagt und nach kurzem Aufschwung, wie einst Ikarus, auf der platten Erde jämmerlich zerschellt, ein freundschaftliches Denkmal gesetzt hat. Eine innere literarisch historische Berechtigung hat es offenbar nicht, den Dichter des Weltschmerze „par ercellence“ als den Sprössling einer solchen Vermählung aufzustellen; denn nicht die Byronsche, sondern die Goethe Schillersche Poesie ist es, in welcher wir die schöne Frucht der Verbindung zu erkennen haben; es ist eben, wie wir uns oben zu sagen erlaubten, ein geistreicher Einfall, und jedenfalls ist der „Trauergesang“, mit welchen der Thor das frühe Ende des Euphorion beklagt, charakteristischer als das Spiel selbst.

Ach! Zum Erdenglück geboren,
Hoher Ahnen, grosser Kraft,
Leider! Früh Dir selbst verloren,
Jugendblüte weggerafft;
Scharfer Blick, die Welt zu schauen,
Mitsinn jedem Herzensdrang,
Liebesglut der besten Frauen
Und ein eigenster Gesang. 
Eugenie
(Die natürliche Tochter)
Ein hohes, stattliches Gemach, im reichsten Rokoko, ganz im Charakter des Porträts an der Wand, das Louis XV.  möglicherweise vorstellen könnte, - im Vordergrunde ein wunderschönes Mädchen in prachtvoller Toilette, kniend vor einem Stellspiegel, im Begriff, sich ein Ordensband umzulegen, auf die junge Schönheit herabschaut – auf dem Tische neben dem Stellspiegel Perlen und Diamanten, zu Füssen der älteren eine geöffnete Truhe, die ein Welt von Schätzen zu bergen scheint - - woraus ist doch nur gleich dies?
Goethes „Natürliche Tochter“ wird jetzt so wenig mehr gelesen, auf der Bühne hat das Stück ohnehin niemals heimisch werden können, und wird jetzt kaum wohl jemals noch aufgeführt – dass manche unserer Leser es uns vielleicht Dank wissen werden, wenn wir mit einigen Worten an den Inhalt desselben erinnern. – Eugenie, die natürliche Tochter des Herzogs, Oheims des regierenden Königs, soll bei Hofe eingeführt werden.
Ihr Bruder, der rechte Sohn des Herzogs und sein Anhang haben dem jungen Mädchen den Untergang geschworen. Man will sie nach den Kolonien schickten, während man das Gerücht verbreitet, sie sei auf der Jagd durch einen unglücklichen Zufall umgekommen. Die Seele dieses Komplotts ist der Sekretär, der Verlobte von Eugeniens Erzieherin. Er weiht seine Braut in das Geheimnis ein; sie muss, will sie das geliebte Kind vorgänzlichem Untergang bewahren, auf den Plan eingehen, Eugenie ahnt von dem allen nichts, zum mindesten hält sie die Gefahr für lange nicht so gross, sie ist voller Hoffnungen und Pläne für die Zukunft; ja sie ist leichten Sinnes genug, dem Gebot des vorsichtigen Vaters entgegen, die Truhe zu öffnen, in welcher er ihr den Schmuck sendet, den sie in wenigen Tagen bei Hofe tragen soll. Diamanten und Perlen, kostbare Gewänder findet sie in der Truhe. Sie freut sich des königlichen Glanzes, sie legt die Kostbarkeiten, eine nach der andern an. Endlich findet sie das Ordensband.

„Was seh ich! Diese Rolle? Ganz gewiss
Das Ordensband der ersten Fürstentöchter!
Auch dieses werd ich tragen! Nur geschwind!
Lass sehen wie es kleidet? Es gehört
Zum ganzen Prunk; so sei auch das versuch!
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O meine Liebe! Was bedeutend schmückt,
Es ist durchaus gefährlich, Lass auch mir
Das Mutgefühl, was mir begegnen kann,
So prächtig ausgerüstet zu erwarten.
Unwiderruflich, Freundin, bleibt mein Glück.“

Menschnschönheit ohne Seelenadel ist im Grunde ein Widerspruch; und wem „ Adelheid“ im Götz von Berlichingen auf Kaulbachs Bilde nicht schön genug vorkommt, möge das wohl bedenken. Hier ist wahre, d. h. seelendurchleuchtet Schönheit, hier in diesem jungendlichen, von Geist und Leben, von Mut und Glück strahlenden Antlitz, ein unsäglicher Liebreiz in diesen weichen und doch so kühnen Zügen, in diesen schmachtenden und doch so hellen Augen, in dieser mädchenhaften und doch so gesättigten Gestalt!
Und nun wende man den Blick zu der älteren Dame, dem Schatten neben dem glänzenden Licht! Auch sie ist einst schön gewesen, vielleicht wäre sie es noch, wenn ein freundliches Lächeln die strengen Züge erhellte. Aber woher sollte das Lächeln kommen! Sie hat zu tief in diese Welt geschaut, die arge höfische Welt der Intrigue, der Kabale, des gottgesalbten Egoismus und der königlich bezahlten Schmeichelei, und darüber sind ihre schönen Augen starr und kalt geworden und ihre rosigen Lippen scharf und dünn und jetzt erhebt sie warnend die Hand:

O wär´ es möglich, dass du meinen Worten
Gehör verliehest, einen Augenblick!

Aber sie weiss, dass es nicht möglich ist, denn was die Unglückliche aufschrecken würde aus ihrem Traum – sie darf es nicht sagen. Ihre Lippen sind versiegelt. In ihrem verschlossenen Herzen lautet das Echo der letzten Worte Eugeniens: „Das Schicksal, das dich trifft, ist unwiderruflich!“
Mädchen im Wald
(Der getreue Eckart)
Der getreue Eckart! Wer von uns hat sich nicht in seiner Jugend an diesem Gedichte, das mit dem feinsten Ohre dem Volkstone abgelauscht ist, ergötzt! Wer hat nicht den hohen Eichwald brausen und rauschen und durch den brausenden und rauschenden Wald die wilde Jagd heransausen hören, die graue, schattenhaft; wessen Herz hätte nicht ängstlicher geklopft, wenn sie näher und näher und immer näher kommt; und wessen Brust hätte nicht aufgeatmet, als nur aus dem Dickicht hervor der Alte Gesell, der Gute, Getreue, der Eckart tritt, der die Kindlein liebt und so gern mit ihnen spielt und ihnen so gute Lehren zu geben weiss, die die niemals befolgen!  Wussten wir auch nicht so recht, wer denn nun eigentlich „die Unholden“ seien, die den Kindern das Bier aus den Krügen schlürfen; war überhaupt über das ganze Gedicht ein eigentümlicher Duft gebreitet – wie Waldesnebel fast, in welchem jedwedes Ding phantastische Form annimmt – desto besser! Desto zauberischer, märchenhafter ward alles, und das soll es ja eben. Goethe sagt einmal, dass ein gutes lyrisches Gedicht etwas Unerklärtes, ja vielleicht Unerklärbares haben müsse; und dasselbe dürste sich von der Balladen behaupten, von dem „Getreuen Eckart“ nicht zum mindesten.
Man sollte meinen, dass ein Stoff, der, wie dieser, ganz in der Romantik des Zaubers, waldes zu verdämmern scheint, gar nicht darstellbar sei. Und doch geht alles auf unserm Blatt so natürlich zu! Wie sich das ängstigt und die Köpfe scheu versteckt, um von dem Graus nichts zu sehen und zu hören, und auch wieder so neugierig hinschaut mit jener dem Kinderherzen angeborenen Lust am Schaurigen! Scheint das grössere braune Mädchen in der Mitte, die den vollen Krug mit der Linken auf dem Kopfe trägt, während sich an ihre Rechte die vor Angst in die Knie gesunkene Blondine klammert – scheint sie nicht mit dem halb geöffneten Mund zu sagen: „Wer, so lasst doch nur! Sie werden uns ja nicht gleich aufessen!“
Und welch´ gutes, treues, echt deutsches Gesicht hat das brave Huzzelmännchen mit dem langen Bart, in der dunklen Kapuze und den Filzschuhen! Wie segnend streckt er die brauen runzlige Hand über seine lieben Kleinen! – Alte, kinderfreundliche Seele! Nicht wahr, du bist nicht gestorben in dieser nüchternen Zeit? Du lebst und wirst noch leben, solange der Abendwind über die Heide und durch den Eichwald streicht, und bange Kinder, die über den herrlichen Spielen die Zeit vergassen, und dass sie zu Hause auf das Bier warten, mit kleinen sorgenden, klopfenden Herzen der elterlichen Hütte zueilen!
Und auch ihr, ihr Holden – Unholden, habt euch wohl nur tiefer in die Wälder zurückgezogen, so tief, dass ihr das Pfeifchen der Lokomotive nicht hört, wenn sie mit dem Zuge Pfeilschell auf den glatten Schienen vorbeirast. Daher kommt es wohl, dass der gelangweilte Reisende von euch nichts sieht, wenn er durch das geschlossene Fenster eines Waggons in die Dämmerung hinausblickt; aber fraget den Jägersmann, der zu dieser Stunde allein über die Heide schreitet, fraget den Köhler, der, vor seinem einsamen Weiler sitzend, die goldene Schale des Mondes über die Wipfel der Bäume heraufschimmern sieht; fraget den Hirten, der an dem Waldessaume die Herde hütet und die Sterne beobachtet, wie sie einer nach dem andern aus dem Dunkelblau des Himmels aufblitzen – vielleicht können sie euch, noch manches von Frau Holle erzählen und von dem, was sie treibt, im „Gethal und Gebirge“.   
Leonore
(Torquato Tasso)
Leonore
Zum erstenmal trat ich, noch unterstützt
Von meinen Frauen, aus dem Krankenzimmer,
da kam Lucretia voll frohen Lebens
Herbei und führte dich an ihrer Hand,
Du warst der Erste, der im neuen Leben
Mir neu und unbekannt entgegentrat,
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Tasso
Und ich, der ich betäubt von dem Gewimmel
Des drängenden Gewühls, von so viel Glanz
Geblendet, und von mancher Leidenschaft
Bewegt, durch Gänge des Palasts
An deiner Schwester Seite schweigend ging,
Dann in das Zimmer trat, wo du uns bald
Auf deine Frau `n gelehnt erschienest – mir,
Welch ein Moment war dieser.
Es hat dem Künstler gefallen, anstatt eines Vorganges, der in der Goetheschen Dichtung selbst geschieht, nur die Schilderung eines Vorganges (Torquato Tasso, II Akt, I. Szene), die der ersten Begegnung des Dichterjünglings und der Prinzessin, wie sie in den oben zitierten Versen erzählt ist, zur Darstellung zu bringen. Aber, um genauer zu sprechen, nicht ganz so, wie sie dort geschildert ist, sondern mit nicht unerheblichen Abweichungen, wie wir deren schon öfter auf diesen Blättern begegnet sind und noch begegnen werden. Eine treffliche Szene in einem Drama oder Roman ist nicht immer ein gleich trefflicher Vorwurf für den Maler. Was war am Ende auch aus einer fürstlichen, jungen Dame, die sich, von einer schweren Krankheit kaum genesen, auf ihre Frauen gestützt, zum erstenmale aus dem Krankenzimmer in das Nebengemach, wagt, malerisch viel zu machen? Für die Phantasie ist es immer ein rührendes Bild; aber die krankhafte Blässe, die Magerkeit der Formen, der leidende Zug in dem Gesicht einer Rekonvaleszentin, haben, auch von der Hand eines Meisters dargestellt, auf dem Papiere, auf der Leinwand wenig Anziehendes. Der Künstler nun, dem diese Szene, vermutlich der begleitenden Frauen wegen, ein besonderes günstiger Vorwurf schien, hat seitdem ein paar Sommerwochen vergehen und die Prinzessin zwischen Lorbeer, und Mythenhainen in balsamischer, springfquelldurchkühlter Gartenlust den zarten Glanz ihrer Schönheit und die liebliche Fülle der herrlichsten Glieder wieder gewinnen lassen, wenn auch die holden Wangen vielleicht noch um einen Schatten blasser sind, und es um den reizenden Mund melancholischer zuckt, als wohl sonst.
Ein reicher Kranz charakteristischer Frauengestalten umgibt die Prinzessin. Welch herrlicher Mezzo Sopran mag der vollen Brust der jungen Dame entströmen, die links der Fürstin im Vordergrund mit der Laute in der Hand auf einem Taburett sitzt, und unter der wir uns wohl Leonore Santivale (die andere Leonore) zu denken haben! Welch ´Bewusstsein ihrer Würde in dem scharfgeschnittenen Gesicht der Frau Oberhofmeisterin, die eben (mit etwas rauher, beinahe männlicher Stimme meinen wir) aus dem Buche so eifrig vorgelesen hat, dass sie von dem jungen Hoffräulein in dem Kokett ausgeschnittenen Kleid neben ihr erst auf das Hereinkommen des Dichterjünglings aufmerksam gemacht werden muss! Und nun, neben dieser jungen (und, wie wir fürchten, etwas genusssüchtigen) Schönen die Nonne mit den strengen, weltentsagenden, schmerzensreichen Zügen, die so glücklich an das edle Antlitz des Dichter der Divina Tommedia erinnern!
Wohl musst du, schüchterner Sänger, vor all ´diesen Blicken die Augen niederschlagen, welch ´freundlich ermutigende Worte dir auch Lucretia, die Schwester der Prinzessin, die dich einführt und deren geistreich gutes Gesicht liebenswürdig bemuttern auf dich blickt, dir auf dem Wege hierher durch den stillen Park gesagt haben mag. Oder hast du weder die Lautenspielerin, noch die Vorleserin, noch das Hoffräulein, noch die Nonne gesehen, sondern sie, einzig sie, zu der du bald sagen wirst:

Was auch in meinem Liede wiederklingt,
Ich bin nur einer, einer alles schuldig!
Es schwebt kein geistig unbestimmtes Bild
Vor meiner Stirne, das der Seele bald
Sich überglänzend nahte, bald entzöge.
Mit meinen Augen Hab ich es gesehen,
Das Urbild jeder Tugend, jeder Schöne;
Was ich nach ihm gebildet, das wird bleiben.
Lili 
(Lilis Park)
Elisabeth Schönemann  - Goethes vielbesungene Lili – ist neben Friederike Brion unzweifelhaft die lieblichste der lieblichen Gestalten, welche Phantasie und Sinne des jugendlichen Dichters mit Zaubergewalt umstrickten. Wie lieblich und wie liebenswürdig die siebzehnjährige Schöne war, und wie sehr er sie geliebt hat, dafür sprechen die wunderbaren Gedichte, die in dieser Zeit seines Lebens entstanden – Gedichte, welche die Liebe selbst diktiert zu habe scheint; dafür spricht die leidenschaftliche Erregung, von der noch so viele Jahre später Herz und Hand des Manne erzittern, sobald auf den vornehm ruhigen Blättern von "Wahrheit und Dichtung" Lilis Name genannt wird. Warum er sich dennoch von ihr trennte? Warum er dennoch ein Band, das für die Ewigkeit geknüpft schien zerriss? Die kürze, wenn auch nicht ganz richtige Antwort auf dies Frage wäre wohl die, weil es eben ein Band war, weil der Mann des Genies sich nicht binden lassen konnte, nicht binden lassen wollten. Eine ausführliche obschon ebenfalls nicht erschöpfende Antwort ist die detaillierte Geschichte dieses Verhältnisses, wie sie der freundliche Leser in den betreffenden Kapiteln der Autobiographie des Dichters findet.
Nur so viel müssen wir – schon zum Verständnis des vorliegenden Blattes – erwähnen, dass Goethe wiederholt auf eine Eigentümlichkeit in dem Charakter Lilis zu sprechen kommt, die wir als eine Art unschuldiger Koketterie bezeichnen müssen und die er selbst folgendermaßen schildert: "Sie konnte nicht leugnen, dass sie eine gewisse Gabe anzuziehen, an sich habe bemerken müssen, womit zugleich eine gewisse Eigenschaft, fahren zu lassen, verbunden sei hierdurch gelangten wir im Hin und Widerreden auf den bedenklichen Punkt, dass sie diese Gabe auch an mir geübt habe."  Das Wahre an der Sache ist, dass Goethe selbst diese Gabe in einem bedenklich hohen Grade besass und dieselbe bei Lili, wie bei seinen andern Freundinnen, in Anwendung gebracht hat. Ihm freilich war es bequem, zur Abwechslung einmal den Ball zurückzuschleudern, um so bequemer, als sein Stolz unter der Ungleichheit des Verhältnisses zwischen der im modernen Sinne reichen Kaufmannstochter und dem wohlhabenden Patriziersohn alten Styls auf das empfindlichste litt. Dazu kam, dass Lilis elterliches Haus, besonders zur Zeit der Messe, von Bekannten aller Art und Verwandten aller Grade, jungen und alten, liebenswürdigen und unliebenswürdigen, wimmelte, also dass Goethe, in seiner doppelten Eigenschaft als Genie und als Verlobter Lilis, längst gewohnt, die erster Rolle in dem geselligen Kreise zu spielen, oft mit seinen Ansprüchen ins Gedränge kam. Das alles reizte, verletzte, quälte ihn, und einer solchen gequälten Stimmung, in welcher dann mit Moment des Produzierens der künstlerische Humor sein unverässerliches Recht geltend macht, verdankt das wunderliche Gedicht „Park" seine Entstehung.
Der Künstler hat, wie billig, ohne zu untersuchen, ob die Heldin in "Lilis Park" die historische Lili ist, oder nicht, sich an das gegebene gehalten und die mutwillige Schöne so mutwillig und so schön gemacht, wie es eine kleine siebzehnjährige Lirce sein muss, die den sich seiner Genialität vollauf bewussten Dichter des Werther und des Götz in einen verliebten Bären, und die Schar der Vettern ersten bis zehnten Grades in schwirrende, girrende Tauben, in schnatternde, zischende Gänse, stolzierende, radschlagende Pfauen, krähende, gluckende Hähne und Hühner, watschelnde, quakende Frösche, mit dummen, blöden Augen, blöde Bewunderung glotzende Karpfen umzuzaubern vermag. Dass der Illustrator des Reineke Fuchs in allen neckischen Schattierungen einer solchen ovidischen Metamorphose gründlichst Bescheid weiss, dass der es in der ehrbaren Gesellschaft an einem langsamen Schneck, der mit ausgestreckt Füllhörnern vorsichtig tastend herankriecht, an einem schlanken Eidechs, der die hellen Äuglein neugierig nach der Zauberin wendet, während des vorsichtige Schwänzlein noch unter dem Brunnernrand verborgen ist – dass er es an diesen und andern schalkhaften Zügen nicht hat fehlen lassen, versteht sich von selbst. Der arme, verliebte Bär! Sieht er aus seiner Bärenkapuze nicht mit Blicken hervor, die deutlich sagen, "dass er mit Freuden sein Blut geben würde, um ihre Blumen zu begissen"? fällt denn aus der schönen Hand keines der goldenen Körner auf ihn? Sollen die dummen Gänse alles haben? Sollen nur die naschhaften Tauben an diesem Göttermunde picken? Die grausame  wird nicht ganz so grausam sein. Hat sie doch auch

 
"ein Fläschchen Balsam Feuers,
Wovon sie wohl einmal, von Lieb ´und Treu erweicht,
Um die verlechzten Lippen ihres Ungeheures
Ein Tröpfchen mit der Fingerspitze streicht."

 
Lieb und Treue! Vielleicht glaubt die kluge, junge Schöne nicht so ganz an diese Liebe, an diese Treue! Vielleicht thut sie wohl daran, mit ihren Liebkosungen gegen das Ungeheurer möglichst sparsam zu sein, vielleicht weiss sie recht gut, dass Gänse Gänse und Tauben Tauben bleiben, aber so ein Bär ist im Stande, die Bärenkapuze vom Kopfe zu schleudern, sich auf seine Menschenfüsse zu stellen und im Vollgefühl seiner genialen Souveränität auszurufen: 

 
"Nicht ganz umsonst reck´ ich so meine Glieder:
Ich fühl ´s! Ich schwör ´s! Noch hab´ich Kraft."
Klärchen
(Egmont)
Klärchen im „Egmont“ ist Gretchens Schwester – in mehr als einer Hinsicht.
Beide sind die Kinder des Dichterjünglings, erzeugt in der Vollkraft poetischer Schaffungslust, als die Welt noch morgenfrisch vor seinem trunkenen Augen lag; in jener romantischen Zeit, deren poetischer Duft uns noch entzückend aus den vornehm ruhigen Blättern von "Wahrheit und Dichtung" anweht. Beide sind die Typen des deutschen Bürgermädchens in ihrer unschuldvollen Reinheit, ihrer reizenden Naivität, in ihrer durch keine entnervende Kultur gebrochenen Kraft – voll kindlichen Vertrauens hingebend, ganz Entsagung, ganz Liebe – aber auch, sobald der "Ruf zur Leidenschaft" an sie ergeht, des höchsten tragischen Pathos fähig; für ihre Liebe das Leben abstreifend wie ein Kleid. Und endlich sind sie Schwestern in ihrem thränenreichen Geschick. Beide werden sie durch eine unwiderstehliche Gewalt der engen bürgerlichen Sphäre, in der ihnen ein ruhiges Glück gesichert schien, entrissen, hinaufgewirbelt in die die Sonnennähe, wo ihnen die ikarischen Flügel schmelzen und aus der sie hinabstürzen in zerschmetterndem Fall.
Freilich, ob ähnlich sie sich auf der einen Seite sind, so verschieden sind sie auf der andern. Klärchen tritt schon deshalb in schärferen und bestimmteren Linien und Farben vor uns hin, weil der Mann, mit dessen Schicksal das ihrige verknüpft ist, historische, nicht, wie Faust, eine mythische Persönlichkeit ist. Zeit und Ort in Egmont sind ganz genau bestimmt. Gretschen wächst auf in ihrer Mutter einfachen Wohnung still und heimlich, wie ein Veilchen unter dem Moose. Ihr Horizont ist von der alten Stadtmauer, über welche Wolken ziehen, begrenzt, und es ist nicht ohne Bedeutung, dass auf Kaulbachs Bilde überall zwischen den Steinen langes Gras in idyllischer Ruhe empor sprosst Klärchen ist eine halbe Politikerin, sie verfolgt mit dem grössen Interesse die Ereignisse, sie kennt die Führer der Bewegung. Gretschens Lieblingslied ist die ossianisch = schwermütige Ballade vom König von Thule, der seiner Buhle treu war bis übers Grab; Klärchens Leibstück ist ein munteres Soldatenliedchen. Gretschen hat, bevor sie Faust gesehen, wohl kaum von Liebe geträumt; Klärchen versteht sich auf Herzensverhältnisse sehr gut und sagt, von Brackenburg sprechend, mit einer Einsicht, die einer Weltdame Ehre machen würde: „Ich hätte ihn heiraten, und ich glaube, ich war nie in ihn verliebt.“ Klärchen hat verglichen mit Gretchen, etwas Nüchternes, Prossaisches, und erhebt sich erst als das Unglück über ihren Geliebten und sie selbst hereinbricht, zu der poetischen Höhe, auf der sich Gretschen von anfang an befindet.
Und hier, auf der höchsten poetischen Höhe der tragischen Leidenschaft hat der Künstler seine Heldin erfasst. Es ist erste Szene des fünften Aufzuges. Klärchen hat Egmonts Gefangennehmung erfahren und eilt, begleitet von Brackenburg, durch die Strassen, die Bürger zum Kampfe aufrufend.
Es ist Abenddämmerung; in der Ferne sieht man undeutlich durch den Nebel die hohen Thürme einer gotischen Kathedrale. Klärchen steht auf der untersten Stufe der Treppe, die zu einem Haufe führt, im höchsten Affekt die Arme in die Luft breitend. Die Haare haben sich zum Teil losgenestelt; eine der Flechten fällt halb aufgelöst über den Rücken. Ihre Augen blicken stier, der Mund ist in scharfen Linien, wie der eines laut rufenden geöffnet.
Die Bürger, zu denen sie gesprochen hat, drücken sich eben davon. Der Schneider Jetter, der sich mit einem wunderbar albernen Gesicht halb umwendet, scheint Brackenburg zuzurufen: "Schaff sie bei Seite, sie dauert mich!" Der eine hat sich den Hut tief auf die Ohren gezogen und ballt die Hände in den Taschen; ein anderer hat Mut genug, die geballten Fäuste offen zu zeigen, aber dabei ist er – charakteristisch genug – der Leithammel der lammherzigen, davonlaufenden Memmen. Das Auditorium, das dem armen Klärchen noch bleibt, besteht aus Fischweibern, die mit ihren Waren auf den Stufen der Treppen sitzen. Die eine mit einem Kinde an der Brust, blickt mitleidig zu dem unglücklichen Mädchen empor; eine andere, ein hässliches, altes Weib, das Krebse feil hat, hält sich schreiend die Ohren zu –die übrigen Starren in dumpfer Bleichgültigkeit oder thatlosem Staunen auf die Heldin.
Neben Klärchen steht Brackenburg. Er hat die Hände stehend gefaltet; er ruft Klärchen die mahnenden Worte zu: „Besinne dich, Liebe, wozu hilft es uns!"
"Wie eine Fahne wehrlos ein edles Heer von Kriegern wehend anführt, so soll mein Geist um eure Häupter flammen, und Liebe und Mut das schwankende, zerstreute Volk zu einem fürchterlichen Heere vereinigen." Das sind die Worte, die aus Klärchens Munde tönen, und wie eine wehende Fahne ist ihre schlanke, weit ausschreitende Gestalt mit den fliegenden Gewändern und den hoch erhobenen wehrlosen Händen anzuschauen. So will sie dem Volk voranstürmen. Und nun welch grauenhafte Ironie“ Dieses Volk, das nicht, einem Bergstrom gleich, hinter ihr herrast, sondern wie eine Schafherde, die Köpfe duckend vor ihr davonflieht! Diese Fischweiber, die sich die Ohren zuhalten! Dieser Brackenburg, das Bild hülflosen Mitleides! Und im Hintergrunde die Kriegsknechte Albas, die, auf ihre Hellebarden gestützt, grinsend auf die Szene herabblicken, und zu sagen scheinen: " Ereifere dich nicht umsonst, Kleine! Dein Liebster sitzt in gutem Verwahrsam, und mit deinen wehrlosen Händen kannst du die Mauern seines Kerkers nicht einreitzen!
Ottilie
(Wahlverwandtschaften)
Ottilie – das ist der schwermutsvolle Ton in jener wunderbaren harmonischen Dissonanz der Goethe ´schen "Wahlverwandtschaften". Sie ist in eminentem Sinne, was der Dichter in seinen späteren Jahren "eine Natur" zu nehmen liebte, ein eigengeartetes, durch die streng gezogenen Grenzen seiner geistigen, moralischen und physischen Begabung scharf begrenztes Wesen, das im vollsten Sinne des Wortes sein Gesetz in sich selbst trägt und deshalb im Konflikte  mit einer Welt, die der Menschen Thun und Lassen nach ein für allemal bestimmten Gesetzen regelt und richtet, notwendig tragisch untergehen muss. Ottilie kann nicht anders sein, wie sie ist. Wenn ihr ein neidisches Geschick missgönnt, die rührende Geschichte ihrer Liebe mit allen Wonnen und Schmerzen Kapitel für Kapitel und Zeile für Zeile zu Ende zu bringen, so schliesst sie leise, ganz leise, das Buch. Ihre Unterwerfung unter das allgemeine Sittengesetz ist nur scheinbar. Sie fängt nicht, nachdem sie dasselbe einmal in seiner Unnahbarkeit erkannt hat, eine neue Phase ihres Dasein an – sie scheidet aus dem Dasein, wie der warme Schein der untergehenden Sonne blasser und blasser wird in den regungslosen Wipfeln des stillen Pinienhaines, um endlich ganz zu verlöschen – der letzte Schimmer von Wärme, Licht und Leben in einer Kalten, dunklen, toten Welt.
Es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen, ob der Dichter, oder wie weit der Dichter, indem er für den Konflikt der Natur und der Sitte, den seine Dichtung behandelt, keinen andern Ausweg als diesen fand, das grosse Problem der modernen Kultur gelöst habe – wir haben uns an das zu halten, was er gab, und das hat auch, wie billig, der Künstler getan. Er hat in seiner Darstellung Ottilien den tragischen Moment ihres tragischen Lebens gewählt – den Augenblick, wo sie das Kind des Geliebten, das sie in mehr als einem Sinne fast ihr eigenes nennen darf, ertrunken auf dem Schosse hält.
Furchtbarer, ungeheurer Augenblick, von dessen schaudervollem Grausen der Künstler uns keinen beängstigenden, schmerzensreichen Zug erlassen hat. Da drüben, wo die Hirsche aus dem dunkelnden Walde auf die im Nebel feucht duftende Weise treten, hat die Unglückliche gesessen, versenkt in ihr Buch, „in sich selbst, so liebenswürdig anzusehen, dass die Bäume, die Sträucher rings hätten belebt, mit Augen begabt sein sollen, um sie zu bewundern“; dort hat das liebliche Kind in voller Werdelust an ihrer Seite auf sonnen, beschienenem Rasen gespielt, dort ist sie an die Brust des Geliebten gesunken, hat ihm versprochen, unter Thränen und Küssen versprochen die Seine sein zu wollen, "wenn Charlotte es vergönnt". Schwarz wie die schwarzen Fittige des Schicksals, die um das Haupt der Eule, blickt die Natur sie an. Keine Hilfe in der Nähe und Ferne! Das Ruder, das ihrer Hand entfallen ist, entführen die um den Kiel des Bootes plätschernden Wellen. Der Abendwind treibt den Kahn in die Mitte des Sees. "Von allem abgesondert, schwebt sie auf dem treulosen, unzugänglichen Elemente." Und das Kind, das geliebte Kind, tot auf ihrem schosse! Gibt es einen Gott im Himmel? Kann es sein Wille sein, dass diese rundlichen Glieder sich nicht wieder regen, dass dieser reizende Mund nicht wieder lallen, dass diese halbgeschlossenen Augen sich nie wieder öffnen und "tief und freundlich" um sich blicken werden? Gibt es einen Gott? Ottilie zweifelt daran; in diesem Augenblick kann sie nicht anders als daran verzweifeln. Ihre krampfhaft gefalteten Hände, ihre Schreckens, starren Augen sagen es ihre zuckenden flummen Lippen sprechen aus.  Es gibt keinen Gott im Himmel, keinen allgültigen, allarmherzigen Gott! Er hätte das nicht zulassen können! Was auch sein Geschöpf gefehlt haben mochte – er durfte es nicht so strafen.
Ottilie ist vernichtet. Von so fruchtbarem Schlage erholt sich ein so zart besaitetes Herz, wie das Ottilies, nicht. Mit Absicht har der Künstler den Ausdruck des Schreckens und des Schmerze in ihrem Gesichte bis zu Wahnsinn gesteigert und dem schönen Haupte das Haar der blumenstreuenden Opheilia, oder des eingekerkerten Gretchens gegeben. Für Ottilie ist mit diesem Moment die Welt aus den Fugen. Für gewisse moralische Konflikte gibt es in der Welt der Kunst wenigsten, keine andere Lösung als Wahnsinn oder Tod.
Mignon

(Wilhelm Meister)

Mignon gehört zu jenen rätselhaften, poetischen Gestalten, die geistreiche Dichter nur deshalb erfunden zu haben scheinen, um der Mit und Nachwelt etwas zu raten zu geben. Zum wenigsten sieht der prosaische Verstand in ihnen nichts, als durchaus unberechenbare Phänomene, die man eben in ihrer kometenhaften Natur gelten lassen muss, ohne zu fragen, woher sie kommen, wohin sie gehen und wie der Kern ihres Wesens den eigentlich beschaffen ist. Auch hat der prosaische Verstand von seinem Standpunkte aus Recht, wenn der sich gegen Mignon und ähnliche Erscheinungen abwehrend verhält. Sie gehören in eine andere Sphäre, wenn sie auch unzweifelhaft ihre natürliche Basis in dieser urnatürlichen Welt haben, so dass man, um genauer zu sprechen, sagen müsste, sie wachsen in eine andere Welt hinüber, in die Welt, die sich nur der geheimnisvollen Kraft, welche wir die Phantasie nennen, erschliesst.
Die Lösung des Rätsels hoffe man indessen nicht zu finden, durch eine möglichst sorgfältige Zusammenstellung aller einzelnen Züge, die uns der Dichter von seinem Lieblinge zu berichten weiss, denn aus diesen verschiedenen Momenten würde sich nun und nimmer ein vollkommenes Gebild gestalten. Man glaube auch nicht, dem Wesen Mignons dadurch beizukommen, dass man er rückwärts aus der Idee des ganzen Werkes oder aus dem organischen Zusammenhange, in welchem dieser Charakter mit den übrigen Charakteren des Romans doch notwendig stehen müsse, zu erklären sucht, denn ein solcher organischer Zusammenhang möchte sich schwerlich erweisen lassen; man gebe diese objektiven Erklärungsversuche auf und halte sich an das dichtende Subjekt, das möglicherweise in seiner dämonischen Natur den Schlüssel des Rätsels birgt. Man wolle nicht, vergessen, dass auch in dem Herzen des Dichters, dem es vor vielen möglich war, die individuellsten Erfahrungen in poetischen Gestalten zu verklären, ein unverbrauchter, unbenutzter Rest zurückbliebt, zu spröde oder zu subtil, als dass er demselben auf die gewöhnliche Weise hätte beikommen können.
Man vergesse nicht, dass auch der Dichter, dem vor so vielen ein Gott gab, zu sagen, was er litt, was ihn entzückte, in gewisser Weise und bis zu einem gewissen Punkte zu jenen Menschen gehört, die Jean Paul mit einem unübertrefflich schönen Ausdruck: „die Stummen des Himmels“ nannte. Und wenn nun, wie das bei einem so vollkommenen Dichter nicht anders sein kann, jener geheimnisvolle Rest, von dem wir eben sprachen, dennoch an das halbe Sonnenlicht der Poesie drängt, wenn jene Gedanken und Empfindungen, die im Grunde unsagbar sind, dennoch in Menschenrede sich vernehmen lassen wollen, - dann eben entstehen so wunderbare, rätselhafte, unbegreifliche Gestalten, wie Mignon, und diese Gestalten führen so seltsam dunkelklare Reden, wie sie eben Mignon führt, und singen so berauschend süsse, unergründlich tiefe Lieder, wie sie eben Mignon singt.
Man halter diesen Gedanken fest, und man wird, glauben wir, Mignons Heimweh nach dem schönen Italien mit seinen Zitronen und Orangenwäldern und Marmorbildern und ihre sinnlich übersinnliche Liebe besser verstehen, als wenn man sich die Mühe gibt, die Einwirkung ihrer geheimnisvollen Abstammung auf ihr Gemüt nach der Erzählung des Dichters psychologisch und physiologisch abzuschätzen. Wollen wir aber die Quintessenz dieses Charakters mit einem Worte bezeichnen, so würden wir sagen müssen, dass Mignon die personifizierte Sehnsucht des erdgeborenen Menschen nach den seligen Gefilden seiner mythischen Abstammung ist, wo sie wohnen, von denen das halbe Kind so rührend sagt: 

"Und jene himmlischen Gestalten,
Sie fragen nicht nach Mann und Weib,
Und keine Kleider, keine Falten
Umgehen den verklärten Leib."

Kaulbach hat zu seiner Darstellung den Moment gewählt, wo Mignon auf Nataliens Schloss im Kreise der Kinder, die sich zur Feier eines Geburtstages zusammengefunden haben, als Engel erscheint, „in ein langes, leichtes, weisses Gewand anständig gekleidet, mit einem goldenen Gürtel um die Brust und einem goldenen Diaden in den Haaren“. Ein paar grosse goldene Schwingen sind an ihren zarten Schultern befestigt. So tritt sie unter die überraschten Kinder und reicht das Körbchen mit den Gaben hin; dann nimmt sie ihre Zither, fetzt sich auf einen hohen Tisch und singt:

"So lasst mich scheinen, bis ich werde;
Zieht mir das weisse Kleid nicht aus!
Ich eile von der schönen Erde
Hinab in jenes feste Haus."

Der Gegensatz des schmerzenreichen, sehnsüchtigen Ausdrucks im Gedichte der Sängerin und der ungebrochenen Naivetät in den Gesichtern ihrer kleinen Zuhörerinnen ist tief empfunden und geistreich dargestellt. Nur in dem Kopfe des mit der Kapuze bekleideten Mädchens, rechts von der Sängerin, scheint eine Ahnung jener Welt aufzudämmern, nach welcher Mignon in Sehnsucht verschmachtet. Einen tieferen seelischen Anteil nimmt auch wohl das schöne Kind links, dessen Antlitz wir im scharfen Profit erblicken: aber in den Gesichtern andern lebt nur die kindliche Freude an der wundersamen Gestalt und dem wundersamen Klang des Liedes, m dessen Inhalt sie sich nicht im mindesten kümmern.
Friederike 
(Wahrheit und Dichtung)
Es waren sonnige Tage in dem sonnigen Leben des Dichters – die Tage von Sesenheim, gerade als ob die Elements selbst die Liebenden in ihre gnädige Obhut genommen hätten. "Man durfte sich nur der Gegenwart hingeben, um diese Klarheit des reinen Himmels, diesen Glanz der reichen Erde, diese lauen Abende, diese warmen Nächte an der Seite der Geliebten oder in ihrer Nähe zu geniessen. Monate lang beglückten uns reine, ätherische Morgen, wo der Himmel sich in seiner ganzen Pracht wies, indem er die Erde mit überflüssigem Tau getränkt hatte; und damit dies Schauspiel nicht zu einfach werde, türmten sich oft Wolken über den Bergen, bald in dieser, bald in jener Gegend. Sie standen Tage, ja Wochen lang, ohne den reinen Himmel zu trüben, und selbst die vorübergehenden Gewitter erquickten das Grün, das schon wieder im Sonnenschein glänzte, ehe es noch abtrocknen konnte" (Wahrheit und Dichtung XI. Buch)… ja, es waren sonnige Tage, die Tagen von Sesenheim! Und doch liegt für uns ein Duft der Wehmut über diesen sonnigen Tagen, nicht jener Wehmut allein, mit welcher uns der Gedanke an eine schöne Vergangenheit immer erfüllt, der Gedanke an Tage, die wie glänzende Tropfen aus dem Becher der Zeit auf Nimmer wiederkehr hinab getropft sind in das Meer der Ewigkeit – mischt sich doch ein grosser Schmerz in all diese jauchzende Lust: der Schmerz einer reinen, keuschen Mädchenseele um ein grosses, unaussprechliches und ach, so bald unwiederbringlich verlorenes Glück!
Es wäre hier der am wenigsten geeignete Ort, die tausendmal aufgeworfene Frage: ob Goethe Friederiken verlassen durfte, noch einmal aufzuwerfen, noch einmal zu untersuchen, ob ihn die Götter mit Blindheit schlugen, als er an dem Hasen der Ruhe und der Liebe vorbei auf das grenzenlose Meer des Ehrgeizes und Ruhmes steuerte: oder ob sie vielmehr in dem rechten Momente die Augen ihres Lieblings öffneten, so dass er klar erkannte den einsamen Weg, welchen der Heros durch unendliche Arbeit hindurch hinaufschreitet zum Hause des ewigen Vaters. Wir wollen annehmen: er that, was er zu thun gezwungen war, was er als das auserwählte Werkzeug, als der Fackelträger der modernen Bildung, thun musste.
Dürfen wir deshalb nicht um Friederiken trauen? Dürfen wir deshalb nicht all den die drei Zeilen bedecken – fast wie ein Stein, der auf ein Grab gewälzt ist: "In solchen Drang und Verwirrung konnte ich doch nicht unterlassen, Friederiken noch einmal zu Seh´n.
Es waren peinliche Tage, deren Erinnerung mir nicht geblieben ist."
Beneidenswerte Dichterseele, die, wie die Sonnenuhren, nur die heitern Stunden zählt, und die "peinlichen Tage" aus der Erinnerung wie mit einem nassen Schwamme weglöscht!
Wohl! Wir wollen deinem Beispiel folgen, wollen nicht an den Abschied denken, nein gar nicht, ganz im Gegenteil an das Wiedersehen des Geliebten, der heute Abend vielleicht, wahrscheinlich – oder, wenn wir dem pochenden Herzen unter dem weissen Mieder trauen dürfen, gewiss kommt. Freilich versprochen hat er es nicht, aber Friederike ist ihrer Sache sicher! Sie kann ganz ruhig scheinen, kann sogar aus dem Buche vorlesen, das Weyland, der gute Geselle, das letztemal mitgebracht hat – aus Oliver Goldsmiths  "Pfarrer von Makefiled". Der  Wolfgang hat das Buch sehr gelobt, hat selbst – nicht ohne eine gewisse nervöse Unruhe – daraus vorgelesen mit seiner tiefen melodischen Stimme; da ist das Buch natürlich Friederiken doppelt lieb. Und den andern auch. Ist es ihnen allen doch, als erblickten sie in diesem Buche wie in einem Spiegel, sich selbst; verändert freilich mit manchen fremden Zügen, die auf Rechnung des Dichters kommen, aber doch noch immer erkennbar. Und Olivie hätte gar nichts dagegen, so ausnehmend schön zu sein; der gute Herr Brion gefällt sich gar sehr in der Maske des Mr. Primrose; die Mama lächelt und weiss, dass sie ein gut Teil gescheiter und energischer ist, als ihre englische Kollegin, und Moses würde sich nie die grünen Brillen haben aufschwatzen lassen! Der Hung aber links neben Olivien, der nicht in der unsterblichen Geschichte erscheint und deswegen auch nicht die Verpflichtung hat, zuzuhören sieht, was bis jetzt ausser ihm keiner sieht, den Reiter nämlich, der den Weg von Strassburg heraufgeritten kommt, und dessen Ankunft weniger Minuten später die liebliche Idylle zerstören wird. Dafür zur Strafe soll dieser Reiter vorläufig noch sehr im Hintergrund bleiben; die Küsse von Friederiken taufrischen Lippen entgehen dem Glücklichen ja doch nicht.
Weris und Dora
Goethes Elegien – diese Perlen der Perlen in dem lyrischen Schatze des Meisters, über deren unschätzbaren Wert die Kenner von jeher einig waren – sind merkwürdigerweise dem grösseren Publikums nicht so bekannt, wie es im Interesse eben dieses Publikums gewünscht werden muss. Ist es nun die antike Form der Diftischen, welche für Auge und Ohr des nicht klassisch gebildeten Lesers nichts anziehendes, um nicht zu sagen etwas Abstossendes hat: ist es gar der Duft der Antike, welcher für die Kenner der Alten so entzückend über diese köstlichen Dichtungen gebreitet ist, und der auf andre erkältend wirkt – ungefähr wie die Weisse und Glätte des Marmors – so viel fest, dass viele, die des Meisters Lieder und Balladen wieder und wieder lesen, über die Elegien wegblättern, als wären dieselben gar nicht für sie geschrieben.
Weris und Dora! Nun, die Namen kennt man wohl, aber was ist es nur gleich mit den beiden? Eine kurze Geschichte, welche sich mit wenig Worten erzählen lässt: von zwei Nachbarschaften, die scheinbar ohne eines des andern zu achten, in der südlichen Sonne, deren Glut der frische Hauch des nahen Meeres freundlich kühlt, zu zwei schönen Menschenblumen herangewachsen sind – er zu einem herrlichen braunen Jüngling, sie zu einer schlanken, blühenden Jungfrau – er tüchtig zu jedem Manneswerk, sie geschickt in den Arbeiten der Frauen, allzeit geschäftig am Webstuhl, am Brunnen, im Garten,
       -   - wo die Citronen blühn
       In dunklem Laub die Gold Orangen glühn,
       Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
       Die Myrthe still und hoch der Lorbeer steht.
Da kommt nun im Umlauf der Jahre der Tag, an welchem der Jüngling Mann seine erste grosse Reise übers Meer antreten soll.  Das ‚Schiff  liegt befrachtet auf der Reede, der ‚Schiffer, froh der günstigen Zeichen, die eine glückliche, schnelle ‚Fahrt verheissen, harrt ungeduldig seines Passagiers. Noch einmal umarmt Weris die geliebten Eltern und geht. An dem Nachbargarten vorbei führt der Weg zum Strande, und in der Thür des Gartens steht die schöne Nachbarin. Er will grüssend eilenden Fusses vorüber, aber Dora hat ein Anliegen.
Sie möchte, dass er ihr ein gülden Kettelein von der Reise mitbringen, sie will es dankbar zahlen. Sorgsam, wie es dem Kaufmann geziemt, fragt Weris nach der Form, nach dem Gewicht der Bestellung und blickt dabei unverwandt nach dem schönen Halse, welchen das Kettlein dereinst zieren soll. Wie träumend, wie von Götterhänden gezogen, folgt er dem Mädchen in den Garten. Sie will ihm ein paar Früchte für die Reise pflücken: Orangen und Feigen; sie pflückt und pflückt: "die goldene Last zieht das geschürzte Gewand"; uns so treten sie in die Laube, wo sich ein Körbchen findet, in welches die Geschäftige zierlich die Früchte legt. Nun ist das Körbchen voll; aber Weris hebt es nicht auf; seine trunkenen Augen ruhen auf den anmutigen Zügen, auf der himmlischen Gestalt der Geliebten.
Hat er sie, hat sie ihn zuerst umfasst? Keines weiss es; beide wissen nur, dass sie sich lieben, das sie sich immer geliebt haben, dass die Trennung Tod sein würde, gäbe es nicht die Hoffnung des Wiedersehens. Thränen fliessen von seinen, Thränen fliessen von ihren Wangen und mischen sich in liebeheisseste Küsse, die von bebenden, stammelnden Lippen empfangen und gegeben werden. Da blickt der suchende Schifferknabe durch die Thür herein; empfängt das Körbchen, Weris folgt ihm, ohne zu wissen er thut – und kommt nicht eher zur Besinnung, als bis die purpurne Woge mächtig das Steuerruder des mit vollen Segeln ins hohe Meer hinstrebenden Schiffes umrauscht. Da nun durchschauert ihn die ganze Fülle seiner Seligkeit, seines Jammers, und in anmutig melodischen Versen, in welchen man noch den holden Klang der Küsse, die auf seinen Lippen berennen, zu hören glaubt, strömt er aus, was wir in trockener Prosa kaum anzudeuten vermöchten.  
Wer Kaulbachs Bild ansieht, weiss was die Liebenden an einander verloren – nein!
Nicht verloren haben. Wer Kaulbachs Bild ansieht, den überkommt selbst eine Ahnung jener Wonne, welche die Herzen der Liebenden durchbebt haben muss an diesem ambrosischen Morgen. Das Schiff auf der Reede, das Boot am Strande, der rufende Knabe, die Schwalben, die sich plätschernd in der Wasserschale baden, der Morgensonnenschein, der so goldig durch die breiten Blätter der Feigen und des Weines strahlt und wechselnde Schatten auf die Korinthischen Säulen streut, welche das Dach der Laube tragen: der weinlaubumrankte, taubengeschmückt Gartengott endlich, der so sinnend unter seiner Laubkrone hervorschaut, als träumte er von Jugend, Glück und Liebe den holden unsterblichen Traum! 


 Heideröslein
Auf der weiten Heide einer hügeligen Hochebene in Tirol, in Bayern, am Neckar, am Rhein – oder wo es dem Beschauer sonst gefallen mag – haben ein Knabe und ein Mägdlein längere Zeit nah bei einander ihre Herden geweidet. Der Knabe ist Ziegenhirt, und das Mägdlein, wie es sich von selbst versteht, hält es mit den frommen Schäfflein. Der Knabe ist ein brauner Krauskopf von achtzehn Jahren, das Magdlein ist vielleicht sechzehn, und eine Fülle blonden Haares, das sie hinten nur mit einem Bande oder einem Kränzlein zusammen zu halten pflegt, wallt ihr bis auf die Hüften herab. Der braune Ziegenhirte und die blonde Schäferin sind nicht im Dienste eines Gebieters; auch gehört die Heide, auf der sie ihre Herden treiben, zween Herren, und ein Grenzstein in Form einer alten Heiligenblende, um die ein wilder Rosenstauch seine Ranken gebreitet hat zeigt deutlich genug, wie weit die Schafe mit ihren Lämmlein sich wagen dürfen, und wo die Ziegen und die Ziegenböcke nicht mehr zu suchen haben.
Nun respektiert freilich das blonde Mägdlein diese genau bezeichnete Grenze sehr; sie treibt ihre Herde lieber ein wenig weiter weg, als dass sie dem fremden Gebiet allzu nahe käme; der braune Knabe aber hat die entschiedene Neigung, so weit zu gehen als er irgend darf, und manchmal ein wenig weiter. Ja er ist keck genug, dem Mägdlein allerlei schelmische Worte zuzurufen, sobald sie irgend in den Bereich seiner Stimme kommt; auch an Zeichen und Geberden lässt er es nicht fehlen; er breitet die Arme aus und schickt Kusshände hinüber; und wenn sie sich unwillig abwendet, lacht er wie toll, oder wirft sich am Fusse des Grenzsteines in da Heidekraut, nimmt die Geige, die er immer bei sich hat, und fängt an zu spielen, wilde stürmische Weisen; dann aber entlockt er den Saiten andre Töne, so sanft und schmeichelnd wie der linde West, der mit der Ginsterblume kost.
Das blonde Mädchen würde den wilden Knaben, der sie immer nur neckt, dessen braune Augen so übermütig leuchten, dessen schwarzer Lockenkopf so voller toller Streiche steckt, hassen, wenn nicht sein Geigenspiel wäre. Das aber hat sie gar zu gern. Wenn es so wehmütig aus den ‚Saiten klagt, ordentlich, als ob ein Mensch, dem das Herz recht schwer ist, schluchze und weine – da haben sich ihr selbst die Augen schon oft mit Thränen gefüllt, und es ist ihr gewesen, als müsste sie dem Knaben und den Hals fallen und ihn bitten, in Zukunft nicht mehr so traurig zu spielen; sie wolle ihn auch lieb haben, sehr lieb, sie wolle alles, was er wolle.
Und eines schönen Tages – am Himmel standen graue Wolken, aus denen es wohl noch vor Abend gewittern mochte, die Luft war weich und schwül, und die weissen Schmetterlinge haschten sich in der weichen, schwülen Luft, da spielte der braune Knabe schwermütiger als je zuvor. Die blonde Schäferin wusste nicht wie ihr war. Es zog sie näher und immer näher an den Grenzrain, zum Rosenstrauch am Heiligenschrein, an dessen Fuss der Geiger sass. Hinter ihr her zog die Herde, eifrig grasend, froh des frischen Weideplatzes. Aber die Schäferin dachte diesmal der Herde nicht; sie hörte nicht des Blöken einiger alten Mutterschafe, das schier ängstlich warnend erscholl; sie hörte bloss das Klingen und Singen der Geige, das immer schwermütiger, immer lockte, je näher sie kam.
Und da sank nieder auf den Rain; der Geiger aber spielte weiter, als wäre er allein in der Welt, mutterseelenallein, ohne einen Menschen, seine Freude, seine Schmerzen zu teilen.
Dem Mädchen entglitt das Körbchen mit seinen Gräsern, die sie so zierlich zu flechten verstand, die Brottache entglitt ihr und der Schäferstab – sie beugte den Kopf in die Hände und weinte bitterlich – sie wusste nicht warum. Und plötzlich verstummt das Spiel; eine Stimme dicht an ihrem Uhr Flüstert: Röslein, rot! Röslein auf der Heide! Und zugleich fühlt sie, wie sich ein kräftiger Arm um ihre Hüfte legt!
Mit einem Schrei des Zornes, halb und halb des Schreckens, springt die blonde Schäferin auf. Sie will fliehen – die Füsse versagen ihr den Dienst; sie will rufen – die Kehle ist wie zugeschnürt. Doch rafft sie sich auf – sie flieht um den Heiligenschrein, der Knabe ihr nach. Und wie sie ihn hinter sich wähnt, kommt er ihr plötzlich entgegen, ein übermütiges Lachen auf den roten Lippen, die dunklen Augen lodernd in füssen Feuer.
Das Mägdlien hebt drohend den Stab, ihn abzuwehren:
Und ich will´s nicht leiden!
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-   -  -  -  -  -  -
Röslein, Röslein, Röslein rot!
Röslein auf der Heiden!



  Goethe in Frankfurt
In "Wahrheit und Dichtung" lesen wir: "Ein sehr harter Winter hatte den Main völlig mit Eis bedeckt und in einen festen Boden verwandelt. Der lebhafteste notwendige und lustig gesellige Verkehr regte sich auf dem Eise.
Grenzenlose Schlittschuhbahnen, glattgefrorne, weite Flächen wimmelten von bewegter Versammlung. Ich fehlte nicht vom frühen Morgen an und war also, wie späterhin meine Mutter, dem Schauspiel zuzusehen, angefahren kam, als leicht gekleidet wirklich durchgefroren. Sie sass im Wagen in ihrem roten Samtpelze, der, auf der Brust mit goldenen Schnüren und Quasten zusammengehalten, ganz stattlich aussah. "Geben Sie mir, liebe Mutter, Ihren Pelz!" rief ich aus dem Stegreife, ohne mich weiter besonnen zu haben, "mich friert grimmig."
Auch sie bedachte nichts weiter; im Augenblick hatte ich den Pelz an, der, purpurfarbig, bis an die Waden reichend, mit Zobel verbrämt, mit Gold geschmückt, zu der braunen Pelzmütze, die ich trug, gar nicht übel kleidete. 

So fuhr ich sorglos auf und ab; auch war das Gedränge so gross dass man die seltene Erscheinung nicht sonderlich bemerkte, obschon einigermassen, denn man rechnete mir sie später unter meinen Anomalien im Ernst und Scherz wohl einmal wieder vor."
Dieselbe, Anekdote wurde Bettina gelegentlich einmal von der Frau Rat erzählt, in ungefähr derselben Weise, nur mit einigen kleinen Abweichungen, die nicht eben wichtig sein würden, wenn sie für unsern Künstler in seiner Auffassung der Szene nicht als Motiv gedient hätten. Nach Bettina nämlich hatte Goethe selbst die Mutter an einem hellen, frostigen Wintermorgen gebeten, auf das Eis zu kommen, "um ihn fahren zu sehen".
Die Mutter kommt. Da schiesst nun ihr Sohn wie ein Pfeil durch die Gruppen. 

"Der Wind hatte seine Wangen gerötet und den Puder aus seinem braunen Haar geblasen."
Folgt die Mantelgeschichte. – "Und da fuhr er dahin über das Eis wie ein Sohn der Götter. O Bettina, wenn du ihn hättest sehen können! So was Schönes sieht man heutzutage nicht mehr!" – Und nun des Pudels Kern: "Deine Mutter war auf dem Eise, und das alles geschah, um ihr zu gefallen."
Die Mutter Bettina war Marimiliane Laroche, seit kurzer Zeit verheiratet Brentano. Goethe kannte die junge Frau schon aus den schönen Tagen, wo er auf seiner Rheinfahrt herrlichste Tage im Kreise ihrer Eltern verlebte, tief in die schwarzen Augen des schönen Mädchens schaute und dabei (in Erinnerung der Wesslarschen Episode) die Bemerkung machte: "es sei eine sehr angenehme Empfindung, wenn sich eine neue Leidenschaft in uns zu regen anfange, ehe die alte noch ganz verklungen sei". Als Frau Brentano war Marimiliane nicht mehr ganz so glücklich wie in dem lieblichen Thal von Ehrenbreitstein; Goethe verkehrte sehr viel in ihrem Hause und Merck schreibt; "il a la petite Madame Brentano a consoler." Hoffen wir, dass der Kummer der kleinen Frau ebenso leicht war, wie das Mittel, sie zu erheitern, welches ihr Tröster in unserm Falle anwendet, unschuldig ist. Er läuft, "ihr zu gefallen", Schlittschuh, läuft so gut wie er kann und sieht dabei so schön wie möglich aus. Marimilianens glänzende Augen sagen deutlich genug, dass der Schalk seine Absicht erreicht, nur zu gut erreicht hat, und dass er den Schneeball, den sie in der erhobenen Rechten hält, redlich verdient.
Eine prächtige Gestalt ist die Frau Rat. Gehüllt in ihren Stolz auf den herrlichen Sohn, kann sie den roten Sametpelz füglich entbehren. Vielleicht kämpft in diesem Moment die Freude über die ambrosischen braunen Locken mit der Sorge, dass Apollo Wolfang sich einen göttlichen Schnupfen und einen unsterblichen Huften holen wird, wenn er den Hut, den er in der linken untergeschlagen Hand trägt, nicht bald wieder auf die olympische Stirn setzt.
Nicht mit der überwallenden Liebe dieser beiden, mit einer stillen, schwesterlichen Freude schaut Kornelia dem Bruder zu. Man erkennt sie an dem schönen Goetheschen Profil, an dem geistigen, etwas minerva=artigen Ausdruck der seinen Züge und an dem aus der Stirn zurückgestrichenen Haar, dessen Goethe in seiner Biographie ausdrücklich gedenkt, nur dass er Künstler "die hohe, stark gewölbte Stirn" in eine von den zartesten Linien umschriebene verwandelt hat. Wer in dem jungen Mädchen, das rechts im Vordergrunde sitzt, Lili nicht erkenne will, der sehe in ihr ein hübsches Frankfurter Kind, das vor Bewunderung des "Frankfurter Löwen" – wie Lewes den Goethe dieser Periode bezeichnend nennt – den reizenden Mund aufsperrt und vergisst, dass eine Dame beim Schlittschuhanschnallen vorzüglich acht auf ihre Kleider haben muss.


Goethe Galerie 
Nach Original Kartons
von
Wilhelm von Kautbach
Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft