Dienstag, 8. Januar 2013

Da neigt sich die Stunde...Rainer Maria Rilke

Bild aus Google, Rainer Maria Rilke
In der zweiten Strophe tönt sich der Ideenkreis der vom “sehenden“ Menschen zu schaffenden Schöpfung an, deren Mitte und Inhalt in der nächsten Folge die “reifende Gottheit“ sein wird. Aber gleich geht es weiter zum “Ding“, das, in der letzten Strophe durch die Liebe erfasst, mit steigender Begeisterung verherrlich wird.
Abklingend wird zum Schluss das soziale Element in dem „“Wem“ angerührt. Mit dem unbestimmten „“weiss nicht“ ist, ganz leicht erst, die Frage des sich Mitteilens ans Du, gesehen als Zweckbestimmung des dichterischen Schaffens, angetupft. Es scheint wie träumerische Zuversicht einer künftigen Bestätigung, getragen von der Sehnsucht nach der menschlichen Gemeinschaft, die auch in der gegenwärtigen fruchtbaren Einsamkeit und mystischen Beziehung zu Welt und Dasein nicht ganz besiegt ist.
Diese so sacht angetönte Frage wird sehr bald schmerzlich akut werden und Rilke ein wiederholtes Nein abringen:
bereits hat er sich den Worpswedes Freunden entzogen, bald wird er sich seiner jungen Ehe entreissen; nur unter dem Schmerz des Enttäuschtwerdens wird er sich etappenweise von der absoluten Bindung an seinen “Meister“ Rodin,  entwöhnen.  Und indem er endlich die alleinschöpferische Einsamkeit wählt wird er sich für den Rest seiner Tage wieder und wieder fluchtartig den ihn umgarnenden Banden der Freundschaft entwinden.
Zuletzt wird im Doppelklang von “löst“ und “los“ das rilkesche Thema des (sich) “loslassen“ berührt, das sich in den Neuen Gedichten dem sich vordrängenden Todesmotiv verbindet (z.B. in “Der Schwan“)


Alle diese Motive erscheinen hier noch plan –und zusammenhangslos; sie scheinen als Grundakkorde in der Tiefe der Seele zu schlummern –und die Welle der befreiten Lebensempfindung stört sie auf und bringt sie, wie zur eigenen Überraschung, zum Klingen. Nur vom vollendeten Werk rückschliessend lässt sich das hier stimmungshaft Versuchte als Anklänge von Grundthemen erkennen. Im Moment ist es für Dichter selbst mehr erahnt als verstanden, jedenfalls noch in keiner Weise begründet. So findet denn der zweite Teil des früher  zitierten  “Selbstbildnis“  auch auf die Bilderwelt des Stundenbuches Anwendung: Sie ist noch nicht “zusammengefasst zu dauerndem Durchdringen“; obwohl “von fern ein Ernstes, Wirkliches geplant“ ist, erscheinen die Teile noch durchaus als “zerstreute Dinge“.


Typisch für diese Schaffensetappe ist dabei, wie das Vague der noch angeläuteten Begriffe mit der Kraft eines Absoluten und mit den Farben des konkreten Bildes angetan erscheint. Das zweimalige  “Nichts“, an exponierte Stelle am Strophenanfang gesetzt und den steigenden Rhythmus durch eine Anfangshebung unterbrechend, umgehen in unbesorgter Absolutheit jede nähere Bezeichnung, geschweige Wesensumschreibung des auftauchenden Begriffes.


Das erste “Nichts“, das ohne den Schöpferakt des Künstlers noch nicht –Seiende, entpuppt sich später als “Natur“  (z.B. als Umriss eines Baumes vor dem Abendhimmel), im Stundenbuch aber hauptsächlich als “Gott“ (“Wir bauen an dir mit zitternden Händen“ – “Gott reift“). Gott, das Ding der Dinge, kann auch in den ersten, wenn auch noch so unverbindlichen Gebrauch des Wortes “Ding“ zurückprojiziert werden.
Das zweite  “Nichts“ scheint sich vor allen mit dem „“Ding“ zu befassen, wenn es sich auch, inkonsequenterweise, eher auf ein schon Bestehendes zu beziehen scheint; denn das unter dem “reifen Blick“ kommende, das soeben, als Braut gesehen, mit Würde und Hingabe ausgezeichnet wurde, kann ja schwerlich gemeint sein mit dem kleinen, das man “trotzdem“ liebt.


Schon hier zeigt es sich, wie man mit Begriffsanalysen nicht weiterkommt, sondern sich in fruchtloser Wortklauberei verstrickt.
Jede dieser Aussagen besteht für sich selbst, ohne seinen bindenden  Bezug zu der nächsten. Bild um Bild wird mit einem kraftvollen Schwung hervorgebracht, genial und selbstherrlich, dem Augenblick entsprungen und nur ihm verantwortlich. Eine Stimmung, ein Lebensgefühl teilt sich mit; es werden keine Dauerwerte gesucht oder Begriffe erhärtet.
Diese visionäre Weltschau, die sich so gläubig-selig auf den Flügeln des Wohllautes hinbewegt, hat noch nicht gelernt, “in sich zurückzukehren“. Erst als sie, unbeschützt, von der brutalen Realität der Großstadt angefallen und angefressen wird, werden ihre Schwächen offenbar. Im Stundenbuch aber gilt es vorerst, die Flügel der Seele in einem sich weitenden Weiltraum zu versuchen, ihn auszumessen; erst in dem späteren notwendigen, d.h. aus der Not wachsenden Schaffen wird er in “Weltinnerraum“ verwandelt werden.


Das Sprunghafte und Willkürliche der Vorstellungen im Stundenbuch ist nun zwar bezeichnend, aber nicht allgemein gültig. Es finden sich alle Stufen vertreten, von der Vision, die von Wort zu Wort in jagender Bilderfülle wechselnd umspringt, -was Ursula Emde als “lange Bilderfolgen ohne klar ersichtlichen örtlichen, zeitlichen oder logischen Zusammenhang“ bezeichnet und als Beispiel dafür zitiert:


“Du bist der Hahnschrei nach der Nacht der Zeit,
der Tau, die Morgenmette und die Maid,
der fremde Mann, die Mutter und der Tod.“
(Das Stundenbuch von der Pilgerschaft in Sämtliche Werke, Inselverlag, 1955, Bd. I. p. 326/27)


Bis zu der durchgeführten Inneren Schau, die sich auf ein ganzes Gedicht ausdehnt, wie wir es schon in (2) vor uns haben. Bevor ich aber zu diesem “Ganzbild“ übergehe, werde ich, nochmals zu (1) zurückkehrend, das Schauend-Willkürliche, wie es bereits in der Behandlung der Motive zum Ausdruck gekommen ist, nun auch in den Stilmitteln zu zeigen versuchen. Dabei lässt sich manches Typische, einschliesslich die Gefahren und Mängel den Stundenbuchstiles aufzeigen.


Die ersten vier Zeilen des Eingangsgedichtes im Stundenbuch führen uns zunächst einen Höhepunkt dichterischen Ausdrucks vor Augen. Die Idee der segnenden Stunde ist durch die ganze erste Strophe entwickelt, d.h. sie ist bis zu ihrer vollen Auswirkung am Dichter geführt.


Proben aus dem STUNDENBUCH  I

(1) Da neigt sich die Stunde und führt mich an
      mit klarem, metallenem Schlag:
      mir zittern die Sinne.  Ich fühle: ich kann –
      und ich fasse den plastischen Tag.
      Nichts war noch vollendet, eh ich es erschaut,
      ein jedes Werden stand still
      Meine Blicke sind reif, und wie eine Braut
      Kommt jedem das Ding, das er will


      Nichts ist mir zu klein,  und ich lieb es trotzdem
      Und mal es auf Goldgrund und gross
      Und halte es hoch, und weiss nicht wem
      Löst es die Seele los…


(2) Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
      die sich über die Dinge ziehn
      Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
      aber versuchen will ich ihn.


       Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
       und ich kreise jahrtausendelang;
       und ich weiss noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
       oder ein grosser Gesang.


(3) Wir bauen an dir mit zitternden Händen,
      und wir türmen Atom auf Atom.
      Aber wer kann dich vollenden,
      du Dom.


      Was ist Rom?
       Es zerfällt.
       Was ist die Welt?
       Sie wird zerschlagen,
       eh deine Türme Kuppeln tragen,
       eh aus Meilen von Mosaik
       deine strahlende Stirne stieg.
       Aber manchmal im Traum
       kann ich deinen Raum
       überschaun
       tief vom Beginne
       bis zu des Daches goldenem Grate.
       Und ich seh: meine Sinne
       bilden und baun
       Die letzten Zierate.


(4) Gemalt hätt ich dich:
      als Samnaun, wachsend aus Wüstensand -
      oder
      es kann auch sein:  ich fand
      dich einmal..
      Meine Freunde sind weit,
      ich höre kaum noch ihr Lachen schallen;
………………………
Nr. 3

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