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Friedrich Schiller " Die Jungfrau von Orleans " |
Ob und in welchem Masse die so von Schiller
bezeichnete Tragödie wirklich „romantisch“ ist, steht hier zur Diskussion.
Die Frage, ob sich das Attribut vornehmlich auf den
Stoff oder auf die Form bezieht, kann wohl ohne weiteres zugunsten des Stoffes
beantwortet werden, obwohl auch der Form romantische Wesenszüge nicht
abzusprechen sind.
Dr. Schröder,
der in seine, Bändchen „Aufgaben aus
‚Die Jungfrau von Orleans‘ „ den ersten Abschnitt „Grundcharakter der
Dichtung „ dem romantischen Charakter der Tragödie widmet, definiert er den
Begriff „romantisch „ wie folgt:
„Romantisch
nennen wir heute das Ahnungsvolle, Schauerliche und Wunderbare, das die
Phantasie Aufregende. Da das Mittelalter in Kunst (besonders in seinen
Dichtungen), Religion und Sitte viel Romantisches hatte, so nennt man heute
wohl auch das Mittelalterliche schlechthin romantisch, und die sogenannten
romantischen Dichter führen diesen Namen von ihrer Vorliebe für das
Mittelalterliche in Leben, Kunst und Religion. Für unser Thema kommt die zuerst
angegebene Auffassung des Begriffes „romantisch“ in Betracht. „Hingegen
scheint mir, will man dem romantischen Charakter dieser schiller's Tragödie
einigermassen gerecht werden, dass gerade der zweite Punkt, das
mittelalterliche Element, diesen Charakter wesentlich mitbestimmt. In dem Zitat
Böttigers (in Erläuterungen zu den Szenen der Jungfrau von Orleans in dem
Taschenbuch „Minerva“ 1812), das etwas später angeführt Wird, streicht Schröder selbst, seiner
frühern Behauptung entgegen, diesen Punkt gebührend heraus; „ War doch die historische Johanna selbst
ein reines Produkt des Zeitalters, das seines ungeschwächten kindlichen
Wunderglaubens wegen Mutter und Säugamme der romantischen Poesie werden
konnte“.
Um der
Tragödie als schöpferischem Ganzen gerecht zu werden, dürfen wir aber nicht bei
dem romantischen Grundcharakter in seinen verschiedenen Aspekten des
Romantisch-Wunderbaren stehen bleiben, sondern wir müssen den romantischen
Elementen andere, nicht-romantische Züge zur Seite oder entgegenstellen; d.h.
wir müssten zu zeigen versuchen, wie sich in dieser Tragödie das Romantische
zum „Schillerschen“ verhält und sich ihm verbindet.
Die
Versuchung liegt allerdings nahe, anhand der in Fülle vorhandenen romantischen
Details und unter Nichtbeachtung der andersartigen Elemente, zur klaren
Folgerung zu schreiten, dass Schiller hier ein echt romantisches Werk
geschaffen habe. In der Wahl und
Ausarbeitung des Stoffes und der daraus resultierenden Gesamtstimmung ist die
„Jungfrau von Orleans „ romantisch zu
nennen; in der inneren Struktur und Motivierung aber atmet das Werk den Geist
seines Schöpfers.
Wohl
hat Schiller richtig gefühlt, dass der historische Stoff der Johanna von Arc in
seinem Wesen romantisch ist und deshalb in einer romantischen Darstellung am
besten fassbar und erlebbar gemacht werden kann. Dank der zugrundeliegenden
Einsicht, dass eines Stoffes nur durch eine seinem Wesen entsprechende
Geisteshaltung richtig erfasst und nur in einer ihm gemässen Form überzeugend
dargestellt werden kann, hat Schiller Voltaires spöttelnde Behandlung des
Themas in dem Gedicht „La Pucelle „ ein für allemal überwunden. Ja es ist hauptsächlich das Verdienst des
protestantischen deutschen Dramatikers, dass Frankreich in der Folge Jeanne
d`Arc zur Nationalheldin, die katholische Kirche sie im Jahre 1920 in die
Reihe der Heiligen erhoben hat. Voltaires geistiges Universalwerkzeug, der
aufgeklärte Witz erwies sich dem romantischen Charakter der historischen
Begebenheit gegenüber als völlig stumpf und unbrauchbar. Die satirische
Gestaltung musste deshalb grundsätzlich am Stoff als wesensfremd abprallen,
musste im Wettstreit mit Schillers wesensgemässer Behandlung kläglich
verstummen (wobei freilich andere, nicht in der romantischen resp. rationalistischen
Behandlung liegende Gründe, Gattung und Umfang des Werkes, seine poetische
Qualität und dramatische Meisterschaft, die Wagschale ohnehin entscheidend zu
Schillers Gunsten senken würden).
Obwohl
es die romantische Färbung ist, die „Jungfrau von Orleans „ in der Reihe
der schiller's Dramen kennzeichnet, wäre es gefehlt, darin etwas wie ein
Produkt der romantischen Schub zu suchen. (Abgesehen davon, dass den
Romantikern jeder Sinn fürs Tragische abging und kann man überhaupt nicht von
einem romantischen Theater sprechen, denn auch der Sinn fürs Dramatische
schlechthin ging ihnen ab. Was schon
an Bühnenstücken geschrieben wurde, eignet sich schlecht zur Aufführung; die
Bühnendichtung wird denn auch als der schwächste Punkt der romantischen Schule
angesehen.) Zwar weist die Wahl des
romantischen Stoffes und Schillers entsprechende Bearbeitung auf seinen Kontakt
mit Vertretern der gleichnamigen literarischen Bewegung hin.
August
Wilhelm Schlegel war ein regelmässiger Mitarbeiter an Schillers „Horen „ , bis
dieser ihn 17% hinauswarf über einem Streit mit Friedrich Wilhelm Schlegel,
welcher durch eine respektlose Rezension von Schillers „Musenalmanach „
in der Zeitschrift „Deutschland „ dessen Zorn auf sich geladen hatte.
Dieser
literaturpolitische Bruch mit der romantischen Schule allein sollte genügen, um
jeden Verdacht eines romantischen Epigonen- oder Convertitentums von Seiten
Schillers zu fernzuhalten.
Dass er trotz
diesem Bruch ein romantisches Werk schreibt, beweist anderseits, dass er nicht
in subjektiver Beurteilung das Kind mit dem Bade ausschüttelt, sondern in
geistiger Freiheit im gegebenen Fall der romantischen Gedankenwelt sich
einzufühlen nicht verachtet. Ferner deutet der von Schiller für diesen
bestimmten Stoff sich bewusst der romantischen Weltanschauung als dem
angemessensten Werkzug bedient. Seine romantische Tragödie ist demnach als ein
geistiges Experiment zu betrachten; nicht passive Beeinflussung durch die
Romantik, sondern bewusste Anwendung ihres Ideengutes, nicht Abhängigkeit des
Geistes, sondern vorsätzliche Richtunggebung durch die Wahl der geeignetsten
Gestaltungsmittel liegen ihm zugrunde.
Die
geistige Emanzipation von der subjektiven Darstellungsart der Frühwerke, die
sich in diesem Abstecher in die romantische Sphäre bekundet, hat schon mit
Wallenstein eingesetzt. Dort vor allem verzichtet Schiller auf die Darstellung
persönlicher Überzeugungen und Werte, indem er lauter „gemischte „ Charaktere
zeichnet.
Auch Max und
Thekla, die gewissermassen nach seinem idealischen Muster zugeschnitten sind,
ändern daran grundsätzlich nichts, weil sie den lauf der Dinge als Verkörperung
des ethischen Prinzips nicht bestimmen, noch werde sie als moralischer Standard
gegen die Unvollkommenheit der andern Figuren gestellt.
Schiller predigt nicht mehr, auch durch die idealen
Gestalten; er stellt sie sachlich, als eine Möglichkeit unter vielen andern, in
die Reihe der menschlichen Erscheinungen; er enthält sich des persönlichen
Werturteils. Mit der gewonnenen geistigen Freiheit, die sich der hohen
Lessingschen Toleranzidee im „Nathan „ nährt, bewegt sich Schiller darauf in
„Maria Stuart „ in einer strikte katholischen Gedankenwelt. Dasselbe
unermüdliche Streben nach neuen geistigen Formen und Ausdrucksmitteln reizte
ihn endlich, in der „Braut von Messina „ der Fährte der griechischen
Schicksalstragödie nachzuspüren, sich den Gebrauch des Chores aneignend.
Ob sich Schiller aber mit einem griechischen
Trauerspiel oder mit einer romantischen Tragödie befasst, wird er doch nicht zum
Nachahmer; indem er seine eignen
dramatischen Gesetze auch durch die gewählte Ausdrucksform zum Recht kommen
lässt, verzichtet er zum vornherein auf den Anspruch, eine stilreine
Reproduktion der betreffenden Kunstgattung hervorzubringen. Vor allem ist es
immer wieder das selbstgeformte Prinzip der tragischen Schuld, das mit den von
aussen gegebenen Faktoren in Konflikt gerät. Schiller kann sich nicht mit der
Fatalität der griechischen Tragödie versöhnen, wo das blinde, von aussen
hereinwirkende Schicksal dem tragischen Helden nicht die Möglichkeit lässt,
seine Tragik im eigenen Busen zu finden. Nur dann kann nach ihm Schiller der
Mensch tragische Grösse erreichen, wenn er sich in geistiger Freiheit zu seinem
Schicksal erhebt. Dieses für ihn so wesentliche tragische Prinzip der Freiheit
weiss der sogar in die ausgesprochenen Schicksals Tragödie einzuflechten. Ja er
kleidet den eigentlichen Konflikt mit dem Stoff in die gehobene Schlussphrase,
seiner persönlichen Auffassung das letzte gültige Wort gebend:
„ Das Leben
ist der Güter höchstes nicht;
Der Übel grösstes
aber ist die Schuld. „
Das
Prinzip der tragischen Schuld, ein alles andere als romantisches Konzept, muss
denn auch in der „Jungfrau von Orleans „
eingeführt werden.
Ihre Schuld besteht in dem plötzlich aufkeimenden
Gefühl für Lionel, denn als Sendbotin Gottes darf Johanna keine irdische Liebe
empfinden. Auch ihr Ende, das sie in Wirklichkeit auf dem Holzstoss zu Rouen,
1/31, erlitten, ändert Schiller mit kühnem Griff.
Nach
seinem tragischen Empfinden kann sie nicht einfach einem stumpfen, ohne innere
Notwendigkeit auf sie gewälzten Schicksal preisgegeben werden. Sie erhält Würde
dadurch, dass sie ihren Untergang weiss und will, als Sühne für die nur ihr
selbst bekannte Sünde der Gefühle, während sie nach aussen glorreich im Kampf
für ihren König fallen darf. Die
Tatsache, dass Schiller sich mit dem Gedanken trug, die „Jungfrau „ in drei
verschiedenen beibehalten sollte, zeigt, wie sehr ihn der Stoff beschäftigt
hat, auch, dass ihn der gewählte Ausgang scheinbar nicht restlos befriedigen
konnte, oder dass er zum mindesten auch andere Varianten für möglich hielt.
Diese Beunruhigung, dieses Ringen um die beste Form des Unterganges im Sinne
einer ideologischen Linienführung der dramatischen Handlung ist ganz und gar
unromantisch.
Das tragische
Ende selbst ist es. Johannas Sich-Verstricken in eine nur sie persönlichste
betreffende Schuld, für die sie durch ihren Untergang Sühne leisten will, all
das ist recht eigentlich schillersch und hat seine Parallelen oder Varianten in
den andern dramatischen Werken Schillers. Dass dies notwendige Schuld bei
Johanna in einer Regung des Gefühls besteht, scheint auch bei einigen namhaften
Kritikern zu Kopfschütteln Anlass zu geben.
In Costwick and Harrison (Outlines of German
Literature) z. B.
Wird dieser
Teil als “ sentimentale Episode” abgetan:
„ .. it must
be regretted that after he had clearly distinguished the true heroine from the
mean caricature in „La Pucalle „, he partly contradicted his own noble design
by the arbitrary invention of an attachment existing between the heroic maiden
and the Englishman Lion 1, the enemy of France! Why should such a weakness have been
thought possible?”
Dass der Schreiber des Artikels
diese menschliche Schwäche Johannas als unpassend empfindet, während er ihre
übermenschlichen Eigenschaften als bare Münze hinzunehmen keine Schwierigkeit
hat, mag beweisen, dass Schiller die Darstellung der Jungfrau als romantische
Motiv folglich als Unwahrscheinlichkeit vom Gesamtbild abhebt. Es zeigt
allerdings auch die Missachtung oder Unkenntnis der schillerschen dramatischen
Ideologie von Seiten des Schreibenden. Hatte Tieck freilich diesen Stoff
behandelt, so hätte er, wie aus seiner Genoveva, aus dem Johann eine rührende,
undramatische Legendenheilige gemacht. Anderseits liesse sich auch dieses für
Schiller notwendige Schuldmotiv im Sinne einer romantischen Darstellung
rechtfertigen, auf Grund von Aug.
Wilhelm Schlegels zwölftem Vortrag über die Dramatische
Kunst, 1809.
Dort
schreibt er, auf den Ursprung und das Wesen des Romantischeren bezugnehmend (in
englischer Übersetzung von John Black).
„The
ancient art and poetry rigorously separate things which are dissimilar; the
romantic delights in insoluble mixtures; all contrarieties – nature and art,
poetry and prose, seriousness and mirth, recollection and anticipation,
spirituality and sensuality, terrestrial and celestial, life and death, are by
it blended in the most intimate combination.”
Psychologisch betrachtet, bereichert
Johannas Abfall von ihrer Sendung sowohl die Darstellung ihrer Person als auch
die Handlung des Stückes. Der geistlichen Kraft der Jungfrau zum Trotz meldet
sich überraschend, doch unwiderruflich die weibliche Neigung, mit dem Resultat
einer Maximalen polaren Spannung der Seelenkräfte. Ein nur als Heilige und
Märtyrerin geschehe Jeann d‘ Arc ist Stoff für eine Legende, nicht für eine
Tragödie. Dass Johanna nicht nur die Natur verleugnende Heilige, sondern auch
das menschlich fühlende Weib ist, bringt sie unserem Mitempfinden um soviel
näher; dass sie, das Opfer jener verhängnisvollen Begegnung auf dem
Schlachtfeld, von ihrer Ehe stürzt, lässt uns die Wiedererlangung ihrer Sendung
und ihr glorreiches Ende umso eindrückliche erleben.
Nachdem ich Schillers Untertitel eine „romantischen
Tragödie“ grundsätzlich zu werten versucht habe, kann ich nun daran gehen,
die in der Tat recht dicht gewobenen romantischen Fäden Stücke aufzuzeigen. Das
Romantische ist schon in der geschichtlichen Unterlage gegeben, und zwar sowohl
im äussern Rahmen, dem monarchischen katholischen Frankreich den 15.
Jahrhunderts, als auch in der Gestalt der Heldin. In ihr auferstehen und
triumphieren die rings bereits im Wanken begriffenen Grundsätze „Königstreue „
und „Gottesbewusstsein „, und zwar in absoluter Weise. Der Jungfrau eigener
Vater, Thibaut, zweifelt von Anfang an der göttlichen Inspiration und Sendung
seiner seltsamen Tochter. Aus seinen „Träumen und ängstlichen Gesichten „ sieht
er „einen tiefen Fall „ woraus, glaubt sie von einem „Höllengeist „ gefasst
(Prolog2).
Indem Johanna, im Namen Gottes, für
den König kämpft, verkörpert sie zwei Ideale, die Herrschaft Gottes durch die
katholische Kirche und die Herrschaft des Königs. Beide sind Ausdruck jenes
Glaubens an eine festgefügte hierarchische Weltordnung, welcher für das
Mittelalter bezeichnend ist. Als Ausdruck mittelalterlichen Lebensgefühls kann
damit auch die Idee des Königtums in das romantische Ideenreich einbezogen
werden. Für Johanna jedenfalls bilden Gott und König und Land eine
unzertrennliche Einheit. Anders wäre ihre unmenschliche, von allem natürlichen
Fühlen entblösste Kriegswut gegen die Engländer, die Feinde des Landes,
unerklärlich.
(Der König selbst ordnet für den gefallenen Talbot ein
ehrenvolles Begräbnis an und gewährt dessen treuem Gefolgsmann freies Geliot
der Leiche.)
Johanna
führt Gottes Sache, indem sie diejenige des Königs führt; denn der rechtmässige
König stellt die von Gott eingesetzte Obrigkeit dar. Gott steht denn auch
politisch auf der Seite Frankreichs als auf der Seite des Rechts.
Bertrands
Stosseufzer, mit dem er seinen Bericht über die unglückliche Lage des Landes
einleitet, enthält in knappster Formulierung Art und Ziel von Johannas Sendung;
„ Gott helfe dem König und erbarme sich des Landes. „ (Prolog/3). Johanna
selbst unterstreicht in ihren ersten Reden diese zwei Aspekte ihrer Mission,
z.b.
„Wir sollen keine eigenen Könige
Mehr haben, keinen Eingebornen Herrn-
Der König, der nie stirbt, soll aus
der Welt Verschwinden…“
Worauf sie in beredten Bildern den König als segensvolle, von
Gott eingesetzte Instanz preist und verteidigt, (Prolog/3). In dem Monolog, die Einführung beschliesst, beruft sie sich
auf den „Geist „:
„So ist des Geistes Ruf an mich
ergangen.
Mich treibt nicht eitles irdisches
Verlangen. „
Um für den Leser aber allen Zweifel des abergläubischen
Thibaut zu widerlegen, identifiziert Schiller diesen Geist anschliessend mit
dem „Gott der Väter „ des Altem Testamentes. So vergleicht Johanna ihre
Erwählung mit derjenigen der grössten alttestamentlichen Führer und Hirten,
Moses und David. Das Beispiel Davids, des kindlichen Hirten, der von seiner
Herde Weg zur Errettung seines Volkes berufen wurde, ist offensichtlich als
eine direkte Vorspiegelung ihrer eigenen Sendung gebraucht. Die romantischen
Motive „Natur“ und „Kind“ sind darin enthalten (die seiner selbst kaum
bewusste, empfängliche Seele des halbwüchsigen Mädchens wurde von
richtunggebenden, Romantikern als Träger oder Symbol des übernatürlichen
empfunden, vgl. Novalis, Sophie, u.a.) Bei der Berufung Moses, aber wird das
Übersinnliche in der Stimme aus dem brennenden Busch sinnenfällig gemacht; sie
ist parallel gesetzt mit dem eigenen Erlebnis Johannas: „ Er sprach zu mir aus
dieses Busches Zweigen. „
Damit ist das Wunder eingeführt, der sichtbare Ausdruck der
romantischen Handlung, als Element der romantischen Stimmung.
Es wird gleich zu Anfang in seiner
Wichtigkeit durch Bertrands Ausruf herausgestrichen:
„Ach, es geschehen keine Wunder mehr!
„
Und gleich
darauf in seiner Realität bestätigt durch Johannas Verkündigung:
„Es geschehn noch Wunder. – Eine
weisse Taube wird fliegen und mit Adlerskühnheit diese Geier anfallen, die das
Vaterland zerreissen.
ect. „ (Prolog/3)
neben diesen stofflich überwiegenden romantischen Zügen tritt
aber auch das unromantische Schuldmotiv des moralischen Tragikers bereits
keimhaft im Prolog auf, in Form der in den Sendungsbefehl eingeflochtenen
Klausel
„Nicht Männerliebe darf dein Herz
berühren
Mit sündgen Flammen eitler Erdenlust.
„ (Prolog/4)
Hier ist mit Vorbedacht die Wurzel zu Johannas Schuldigwerden
eingesenkt, der verhängnisvollen Begegnung auf dem Schlachtfeld, die Von
„Costwich und Harrison „ als „sentimental Episode „ bedauert wird und auch von
Calvin Thomas, mehr Einsicht an den Tag
legt, als „mere Episode „ und „unthinkable love affair „ kritisiert wird,
obwohl er die damit verbundene tragische Schuld als „necessery ingredient „
einer schillerschen Tragödie zu werten versteht.
Das sich durch das ganze Stück
ziehende Einwirken übernatürlicher Kräfte, das den romantischen Grundton
ausmacht, kann in zwei Kategorien gefasst werden, welche sich allerdings
stellenweise berühren und überdecken. Die erste begreift das „Wunderbare“, Schiller
beschränkt sich dabei weder auf die zentrale Gestalt der Jungfrau noch auf die
katholisch-christliche Grundhaltung.
Heidnisches
und Aberglaube sind dem Christlichen nicht nur, wie es die Handlung erfordert, feindlich
gegenübergestellt, sondern sie sind in der Atmosphäre einer allgemeinen Wundergläubigkeit
als verwandte Elemente mit ihm verflochten.
Ebenso wichtig wie die Media übersinnlicher
Kräfte (neben Johanna haben wir den seherischen
Thibaut, die weissagende Nonne und das Bemerweib mit Johannas Helm) sind die
romantischen, wunderseligen Empfänger, auf die Wirkung ausgeht: der Königshof,
die französisch und die englische Armee, das Volk (Dom Remi Bewohner, die
Köhlerfamilie).
Vgl. den Wackenrhoderschen Satz, dass Aberglaube
besser sei als Systemglaube (Haym, p.130)
Die zweite Kategorie umfasst die „Wunder“ als solche, die
sinnfälligen Wirkungen des Wunderbaren, die den Rahmen des Natürlichen gänzlich
überschreiten, die von aussen her eingreifend als Vorsehung den Lauf der Dinge
bestimmen.
„Das Wunderbare“
Im Prolog bereitet Johannas Vater; der seherisch-aber
gläubische Thibaut seine fromm-gläubige Tochter als Gegensatz vor, während er
stimmungsmässig den romantischen Grundton einführt. (Prolog/2). Seine
abergläubischen Bedenken gipfeln in der Beschreibung des Druidenbaumes 1), der
Johannas Lieblingsaufenthalt und Ort der göttlichen Offenbarung war. Mit seinem
heidnisch begründeten Aberglauben verbindet Thibaut eine echte Sehergabe:
„…zeigt sich’s mir
In Träumen an und ängstlichen
Gesichten.
Zu dreien Malen hab‘ ich sie gesehn
Zu Reims auf unsrer Könige Stühle
sitzen,
…“
Während Thibauts Träume an die
prophetischen Gesichts des jungen Joseph gemahnen, den Palast des
alttestamentlichen Pharao in den französischen Königshof verwandelnd,
(„Und ich, ihr Vater, ihr beiden
Schwestern,
Der König selber neigten sich vor
ihr“)
Die biblische Bildersprache
entlehnend, finden wir in der Weissagung der Nonne eine sachliche Vorschau von
Triumph der Jungfrau, auf die Person des Königs bezogen (von diesem
irrtümlicherweise in Verbindung gebracht mit seiner Geliebten, Agnes Sorel):
„Ein Weib, verhiess die Nonne, würde
mich
Zum Sieger machen über alle Feinde.“
1)
„Drudenbaum“; unter welchem die Druden (=Hexen) ihre Zus.
künfte
halten, wozu sie vorzüglich
Eichenbäume wählen. (Grims W’buch p.1454)
Die Jungfrau
selbst ist natürlich der Hauptstrahlungsherd des Wunderbaren, vom Prolog bis
zum Ende.
Der Helm,
den ein Bohemerweib den Bertrand auf gedrungen hat, wird von ihr als das
sichtbare Zeichen ihrer Sendung erkannt und mit Vehemenz ergriffen. (Prolog/3)
„Mein ist der Helm; und mir gehört er zu!“
Als nächstes überrascht die kriegerische Haltung Johannas,
ihre strategisch klar gezielten Fragen „nach Dingen, die ihr nicht geziemen“:
„Wie heisst der Ritter?“ – „Wo hält der Ritter?/ sagt mir’s, wenn ihr’s
wisset!“
Sie ist mit
Autorität und prophetischer Siegesgewissheit angetan, als sie endlich in
Begeisterung ausbricht:
„Nichts von Verträgen! Nichts von
Übergabe!
Der Retter naht, er rüstet sich zum
Kampf.
Vor Orleans soll das Glück des
Feindes scheitern.
…“
(Prolog/3)
In ihrem Monolog, der den Prolog abschliesst, dringt
prophetisch die Todesahnung durch:
„Johanna geht, und nimmer kehrt sie
wieder.“
(Prolog/4)
Im ersten Akt erfahren wir durch den Tatsachenbericht Raouls
die wunderbare Wirkung von Johannas Erscheinen im Felde:
a)
Ihre Wirkung auf die sechzehn Fähnlein lothringisch
Volk unter
Baudricour: „Ein Glanz vom Himmel schien die Hohe zu
umleuchten.“
b)
Die Wirkung auf den Feind, als sie mit der Fahne
Voranschreitet:
„Der, hochbetroffen, steht
bewegungslos,
mit weitgeöffnet starrem Blick das
Wunder
anstaunend, das sich seinen Augen
zeigt-
Doch schnell, als hätten Gottes
Schrecken ihn
ergriffen, wendet er sich um
zur Flucht…“ (I/9)
c)
Die Wirkung auf das Volk:
„Hört ihr den Auflauf? Das Geläut der
Glocken?
Sie ist’s das Volk begrüsst die
Gottgesandte.“
Viele Stimmen (hinter der Szene):
„Heil! Heil der Jungfrau, der
Erretterin!
(Akt I/9)
Als Johanna zum König hereingeführt
wird, beweist sie ihre Sehergabe, indem sie den Monarchen, den sie nie zuvor
erblickt hat, erkennt und ihm den Inhalt seines neulichen Gebetes nennt. (Akt
I/10)
Johanna weiss um den am selben Morgen
erfolgten Tod des britischen Feldherrn Salsbury und bekräftigt dieses Wissen
durch die Prophezeiung an den Herold: „Begegnen wird dir seiner Leiche zug.“
Sie entlässt ihn mit der Warnung, dass sie bald in Orleans
das Siegeszeichen pflanzen werde. (Akt I/11)
Im zweiten
Akt wird der allgemeinen Wundergläubigkeit die Reaktion der reinen Vernunft
entgegen gesetzt.
Zunächst
sehen wir Philipp den Guten, Herzog von Burgund, als ein Opfer des allgemeinen
Aberglaubens:
„Das muss uns trösten. Wir sind nicht
von Menschen
Besiegt; wir sind von Teufel
überwunden.“
(Akt II/1)
Er wird vom rationalistischen Talbot angefahren:
„Vom Teufel unsrer Narrheit -…
Der Aberglaube ist ein schlechter
Mantel
Für eure Feigheit…“
Die böse
Königin-Mutter, Isabeau, zeigt sich in Akt II/2
ebenfalls als Rationalist der Wunderwirkung der Jungfrau
gegenüber:
„Wie? Wirkt der Hölle Gaukelkunst,
die und
Im Treffen so verderblich war, auch
hier
Noch fort, uns sinnverwirrend zu
behören?“
Selbst der Aberglaube kommt in diesem
romantischen Stück besser weg als die realistische Vernunft: Der Ehrenmann
Talbot erleidet einen grimmigen Tod ohne Ausblick: Isabeau wird am Ende
abgeführt – während sich der abergläubische und charakterschwache Herzog von
Burgund der Versöhnung und Rehabilitierung beim König erfreut. In den zwei
antiromantischen Figuren Talbot und Isabeau, ganz unabhängig von ihrem
ethischen resp. unethischen Charakter, geisselt Schiller die rationalistische
Ablehnung alles Wunderbaren, weil Unerklärbaren. Indem er den romantischen
Geist der spottenden Ratio gegenüber triumphieren lässt, exemplifiziert er in
dieser seiner romantischen Tragödie die Romantik, als Reaktion gegen die
Aufklärung gesehen.
Johanna erklärt ihre Unverletzbarkeit
in der Schlacht durch die notwendige Erfüllung ihrer Laufbahn:
„Nicht heut, nicht hier ist mir
bestimmt zu fallen,
Dir Krone muss ich sehn auf meines
Königs Haupt.
Dies Leben wird kein Gegner mir
entreissen,
Bis ich vollendet, was mir Gott
geheissen.“
(Akt II/4)
Das Natürliche und das Übernatürliche
verbinden sich zwanglos und wie selbstverständlich in Johannas Wesen zur
Einheit. Für sie als romantische Heldin ist auch das Wunderbar natürlich:
„Von meinen Schafen lernt‘ ich das
Gesunde
Vom Gift’ gen unterscheiden – Ich
verstehe
Den Lauf der Sterne und der Wolken
Zug.
Und die verborgnen Quellen hör ich
rauschen.“
(Akt V/4)
In Akt V/12 wendet Johanna auf
wunderbare Weise die Schlacht zum Endsieg der Franken:
(engl. SoldatJ Im Kampfe schreitet sie – Ihr Lauf
Mitten ist schneller
Als mein Gesicht – Jetzt ist sie hier
– jetzt dort –
Ich sehe sie zugleich an vielen
Orten!
Sie teilt die Haufen – Alles weicht
vor ihr,
…“
Der Tod der Jungfrau wird, echt romantisch, als Himmelfahrt
gestaltet. Während der Leib entseelt auf die Fahne sinkt, wird durch Wort und
Bühnenbeleuchtung der Effekt einer Himmelfahrt erzielt, d.h. die Aufnahme der
reinen Seele der Jungfrau durch die Gnadenmutter wird vom Rein geistigen in den
Bereich der sinnlichen Vorstellung resp. Wahrnehmung gerückt: die
Szenenbeschribung verlangt: „Der Himmel ist von einem rosichten Schein
beleuchtet.“
Die letzten Worte der Jungfrau lauten:
„Wie wird mir? – Leichte Wolken heben
mich –
Der schwere Panzer wird zum
Flügelkleide.
Hinauf – hinauf – die Erde flieht
zurück –
Kurz ist der Schmerz, und ewig ist
die Freude!“
Die „Wunder“
Johannas
Wunderschwert wird nach der Tötung Montgomery’s von ihr selbst beschrieben:
„Und nimmer irrend in der zitternden
Hand regiert
Das Schwert sich selbst, als wär‘ es
ein lebend’ger Geist.“
(Akt II/8)
(Das Schwert der höchsten
Kriegsgewalt, der Jungfrau von Karl IIV selbst angeboten, wurde in Akt I/10
abgelehnt, denn wie der Helm, so ist auch das Schwert Johannas vorbestimmt:
„Nicht durch dies Werkzeug irdischer
Gewalt
Ist meinem Herrn der Sieg verlieben.
Ich weiss
Ein ander Schwert, durch das ich
siegen werde.
Ich will es dir bezeichnen, wie’s der
Geist
Mich lehrte; gehe hin und lass es
holen.“)
Die
Erscheinung des Schwarzen Ritters, eine „doppelzüngig“ warnende Stimme, geht
der Szene mit Lionel direkt voran. Als Johanna einen Streich auf ihn führen
will, berührt er sie mit der Hand und sagt: „Töte, was sterblich ist“ Darauf
versinkt er, bei „Nacht, Blitz und Donnerschlag“. Johanna begreift nun:
„Es war nichts Lebendes. Ein
trügliches Bild
Der Hölle war ‘s, ein widerspenstiger
Geist,
Heraufgestiegen aus dem Feuerpfuhl, “
(Akt III/9)
Die Donnerschläge, die
in Verbindung mit Johannas Schweigen auf die Anklage des eigenen Vaters hin von
den Anwesenden als Gottesurteil verstanden werden, führen in Akt IV/13 ihre
äussere Verbannung auf Grund ihres inneren Abfalls herbei. (Akt IV/11)
Als Antwort auf ein
gläubig-brünstiges Gebet, kommt ihr von Gott die übermenschliche Kraft, ihre
schweren Ketten zu zerreissen – im Augenblick der höchsten Not, da der
französische König gefangen ist. Der Erzählung ihrer Berufung entsprechend
(Prolog/4), die sie auf den Gott Moses, und Davids stützt, ruft sie auch jetzt
den Gott der Väter an, ihn voll Vertrauen an die Wunderkraft Simsons erinnernd:
„Leicht
ist es deiner Allmacht, eh’rne Bande
In
dünnes Spinngewebe zu verwandeln –
Du
willst, und diese Ketten fallen ab,
Und
diese Turmwand spaltet sich – Du halfst
Dem Simson,
da er blind war und gefesselt
Und
seiner stolzen Feinde bittern Spott
Erduldete.
- …“
Der Schwarze Ritter und die
Donnerschläge sind mit Recht als hauptsächlich auf Bühnenwirkung angelegte
Tricks in der Richtung der romantischen Oper bezeichnet werden. Während sie die
Spannung der dramatischen Handlung äusserst wirkungsvoll steigern, neigen sie allzu
sehr gegen das Legendäre, ja Märchenhafte hin. Während die andern Wunder und
Wirkungen des Wunderbaren mit der Gestalt und Mission der Jungfrau
unzertrennlich verflochten sind, und durch die überzeugende Kraft ihrer
Persönlichkeit im romantischen Rahmen des Ganzen einen hohen Grad von
Glaubhaftigkeit gewinnen, fehlt diesen beiden „Wundern“ die gedankliche Einheit
mit der zentralen Figur. Auf die momentane sinnliche und psychologische Wirkung
angelegt, bleiben beide Erscheinungen in der ideellen Linienführung ihre
Rechtfertigung schuldig. Der Schwarze Ritter, der Johanna warnt, in keinen
Kampf mehr zu gehen, der in ihr eine starke Unglücksahnung hervorruft, bringt
zwar die gewünschte Spannung für die unmittelbar folgende Begegnung mit Lienel
hervor. Die innere Gefahr, in der, die Jungfrau tatsächlich in jenem Augenblick
steht, wird durch die Erscheinung des Ritters, durch Nacht, Blitz und
Donnerschlag sinnlich dargestellt und übertragen. Einerseits durch diese
Gefahrenstimmung vorbereitet, wirkt die Lionel-Szene anderseits durch das
Moment des überraschenden Gegensatzes zur Ritterszene:
Die Gottesstreiterin, der selbst die
Höllenerscheinung weder die Fassung noch den Mut zu rauben vermag, entwaffnet
ein einziger voller Blick in das Gesicht des ihr zum Verhängnis bestimmten
Mannes. Was weder Schlechtgewühl noch Höllenspuk vermochten, tut die leise,
allmächtige Stimme des Herzens; Johanna erleidet den Abfall von ihrer reinen
Mission. Obwohl Bühnentechnisch und dramatisch wirksam, ist der Schwarze Ritter
für die Handlung gänzlich unnötig und bleibt in seiner eigentlichen Bedeutung,
wenn man auf einer solchen bestehen will, mysteriös und verwirrend. Ob man in
ihm nun den rachedurstigen Geist Talbots oder Johannas eigene überbordende
Phantasie erblickt, auf welche Weise immer man sein Auftreten zu erklären sucht
– wobei sich ein Deutungsversuch zwecks einer angestrebten, offenbar im Stück
selbst zu begründenden, Rechtfertigung zum Vergleich mit Shakespeares Geist in
„Hamlet“ versteigt – die Rechnung wird nie ganz aufgehen, d.h. jede Ausdeutung
bleibt stellenweise mit Unklarheit oder Widerspruch behaftet.
Was die Donnerschläge betrifft, so
sind sie zwar nebst der erzielten romantischen Bühnenwirkung auch mit der
Handlung eng verflochten, indem sie den Ausschlag zu Johannas Schuldigsprechung
und Verbannung geben.
Trotzdem kann nicht von einer
Notwendigkeit gesprochen werden;
Schiller hätte mit Johannas Schweigen und unverkennbaren Zeichen von
Schuldbewusstsein auskommen können.
Die Donnerschläge als
Gottesurteil sind insofern unbefriedigend als letzten Endes nicht abgeklärt
werden kann, ob sie für oder gegen die Jungfrau zeugen. Nach Johannas Endsieg und verklärtem Tode zu
schliessen sowohl als auch ihrem persönlichen Ausspruch zu entnehmen ist die
Absicht Schillers, den Himmel zugunsten von Johannas Unschuld in Aktion zu
setzen. Auf Raimonds Herausforderung „Der Himmel selbst bezeugte Eure Schuld!“
antwortet sie: „Der Himmel sprach, drum schwieg ich.“ (Akt V/4). Die
Zweifelsfrage bleibt bestehen, ob sich Gott zu einem sichtbaren Zeichen herbeiliesse,
um es von den Empfängern der Botschaft missgedeutet zu haben, um die zu
rettende Jungfrau nun erst unrettbar als Hexe verdammen zulassen.
Zusammenfassend
kann wohl gesagt werden, dass das Romantische dieser Tragödie im Bereich des
Wunderbaren voll und erfolgreich zur Wirkung kommt, während die eigentlichen
Wunder, besonders die beiden diskutierten opernhaften Zwischenfalle, ohne
Wesentliches beizutragen, das bereits überreiche Ideengut des Stückes zu verwirren
drohen. Die glückliche Verschmelzung des Romantischen Schuld, die der Gestalt
der Jungfrau eine komplexe Fülle verleiht, der romantischen Weite des Gefühls
einen mystisch-sittlichen Grund unterlegend, schafft eine gewisse ernst
zunehmende geistige Sphäre, eine Art erfüllte Wirklichkeit, welche die Hölle
und der Himmel nicht ohne Notwendigkeit und beste gedankliche Fundierung mit
ihrem Spuk und Donner würzen sollten, wenn sie, wie anzunehmen ist, als höchste
und absolute Instanz respektiert sein wollen. Der grandiose Bühneneffekt
verführte offenbar den überaus dynamisch und visuell im Sinne der Bühne
schaffenden Dramatiker zu diesen romantischen Ausschweifungen.
Die
„Wunder“ in der „Jungfrau von Orleans“ sind denn auch die besten Anhaltspunkte
für die negative, z.T. spöttelnde Kritik mancher Literarhistoriker. Vor allem
die amerikanische Kritik, die sich leicht in rationalistischen und rein
psychologischen Argumenten erschöpft, bekundet einen Mangel an Einfühlung in
die romantische Atmosphäre. Calvin Thomas, der prominenteste der amerikanischen
Schiller-Kenner, lässt zwar das „Wunderbare“ (the marvelous) im Leben der
Jungfrau gelten, verwahrt sich aber kritisch gegen die „Wunder“ (the realm of
pure miracle).
Während er feststellt, dass Schillers
„ultra-romantische Behandlung“ der Geschichte der Jungfrau zu scharfer Kritik
Anlass gegeben hat, findet er anderseits, dass dogmatisierende Erörterungen, ob
es „zulässig“ sei, das Übernatürliche auf die Bühne zu bringen, dem Werk in
keiner Weise gerecht zu werden vermögen. Denn, sagt
er:
„The
proof of the pudding is not in the cook’s recipe. “ Er weist darauf hin, dass die
Schwierigkeit, die sich uns Modernen (insbesondere Amerikanern) Einschätzung
des Werkes bietet, grundsätzlicher Art ist, indem und das Romantische als
solches schwerlich anzusprechen vermag. Wenn man aber die „Jungfrau“ als
romantische und damit spezifisch deutsche Schöpfung zu werte versteht, begreift
man, dass sie bis zum heutigen Tag ein Hausschatz der deutschen Bühne geblieben
ist.
Das
abschliessende Zitat gibt Calvin Thomas‘
Werturteil über Schillers romantische Tragödie wieder:
(aus „Life & Works of Schiller“)
„To
enjoy the play it is necessary to put aside one’s rationalism
And
surrender oneself to the illusion one knows that the author
Wishes
to produce. “The Maid of Orleans” does
not compel the surrender like “Wallenstein”; one must meet the poet half-way.
That
done, however, everything is in order, for the technique
Of
the play is faultless.” (p.385)
“…his experiment was received with ecstasy
at its first
Performance
and has ever since held its place in the affection
Of
the German play-poor’s. They are not troubled by its irrationalities,
But
receive them with pious awe, as Schiller intended. For the reader,
Too,
“The Maid of Orleans” has a deep and perennial fascination.
Theorize
about it as we may, it is a great popular classic, which
Has
exerted an enormous educative influence and proves how thoroughly
its
author knew the heart of the German people.” (p.375)
gelesene Partien:
W. Schröder: Aufgaben aus „Die Jungfrau von Orleans“
(Grundcharakter, p.1-8, Verschiedenes)
H. Düntzer: Schillers Jungfrau von Orleans (Stellenweise)
J. Bellermann: Schillers Dramen (J.v.O. stellenw.)
C. Thomas: The Life and Works of Friedrich Schiller
(The Maid of Orleans, p.371-386)
Merker-Stammler: Real Lexikon der dt. Literaturgeschichte (p.244ff)
Costwick and Harrison: Outlines of German Literature (p.328ff)
Scherer: History of German Literature (translated) (p.218ff)
R. Haym: Die Romantische Schule (st.W)
Fr. Gundolf: Romantiker (Friedr. Schlegel; (p.1-65)
The German Classics vol.IV (Aug.Wilh. Schlegel: Lectures on Dramatic Art, p.71-79
Ludw. Thieck: Leben und Tod der heiligen Genoveva, Ein Trauerspiel.
fks