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nun gut: etwas unachtsam
nun gut: auf die strasse
auf einmal rechts
auf einmal schnell
auf einmal nahe
auf einmal wagen
er sieht
er bremst
ich auch
zu spät
und bums
überfahren
die zeugen: ich
die zeugen: selber
die zeugen: schuld
zu unachtsam
nun gut: ich dachte
nun gut: gerade
nun gut:: was andres
das ist doch, oder?
kein grund mich, oder?
zu überfahren
und doch: da lag ich.
Das ist eine Stelle aus Mani Matters Oper Entwurf "Der Unfall". Der Sprecher geht dann auch der Frage nach, woran er auf der Strasse gedacht hat. Er ist vorher an einem Musikgeschäft vorbeigegangen, und
Ja, da dachte ich: es ist doch schade, dass ich kein musiker bin.
wenn ich musiker wäre, wäre ich nicht überfahren worden
wenn ich musiker wäre, hätte ich nicht gedacht, es sei
schade, dass ich kein musiker bin.
Bestimmt war Mani damals unachtsam.
bestimmt hat Mani damals etwas andres gedacht.
Bestimmt hat Mani damals nichts Bedeutenderes gedacht, als zum Beispiel: Schade, dass ich kein Musiker bin.
Wenn er aber damals etwas anderes gedacht hat, dann hängt das damit zusammen, dass er so, wie er gelebt hat, zuwenig dazukam, etwas anderes zu denken.
Er war bekannt für seine speditive Art, alle rühmten seine klare Entscheidungsfähigkeit. Tagsüber sass er in seinem Büro als Jurist und fällte klare Entscheide.
Jede Woche ging er an die Universität und leitete dort ein Seminar, wo er von allen Studenten geschätzt wurde gegen seiner Unbestechlichkeit im Denken, wegen seiner Fähigkeit, etwas, das ein bisschen unklar formuliert war, etwas klarer zu formulieren.
An manchen Abenden trat er dann auf irgendeiner Bühne auf und trug seine Lieder vor, die irgendeinen Sachverhalt abkürzten und ihn auf einen einleuchtenden Nenner brachten oder die etwas Klares so lange auseinandernahmen, bis man nicht mehr sicher war, ob es überhaupt etwas Klares sei, eine Tür etwa oder ein Sandwich.
Wo blieb in diesem Klarheitsgebäude das Unklare?
Mani hatte sich mit Klarheit umgeben, er hatte fast zuviel Boden unter den Füssen. Darunter aber, unter diesem Boden, war das Unklare, das Dunkle, das Unverständliche, das Sinnlose. es hatte einmal nach ihm gegriffen, in Form einer eigenartigen, epilepsieähnlichen Krankheit nach dem frühen Tode seiner Mutter. Von dann an hatter er es gebannt, indem er ihm mit seinen klaren Formeln auf den Leib rückte, indem er zum Beispiel das Sinnlose in Versen zur Geltung kommen liess, aber er erlaubte ihm keinen Einbruch mehr in sein Leben.
Es muss jedoch immer gegenwärtig gewesen sein, etwa so wie in seinem Einmanndramolett in sechs Monologen: "Ich habe Ahnungen..."
In den letzten vierzehn Tagen vor seinem tod waren diese Ahnungen wieder wach, er sei, sagt seine Frau, unruhig gewesen, sonderlich gestimmt, habe das Gefühl gehabt, er werde krank oder sei es schon.
Von Mani hat man nie einen Hilferuf gehört; mit Hilferufen wandte man sich an ihn. Mani wollte direkt vom Äussern zum Erinnern springen, wine Abkürzung nehmen, wie übrigens die meisten von uns. Eine Depression haben, wirklich haben, heisst eben, nichts mehr tun können, wie gelähmt dasitzen vor Schreck darüber, dass man irgendwelchen Ansprüchen genügen sollte, weggehen, aussteigen, nicht mehr zur Verfügung stehen. So etwas versucht man zu vermeiden, solange es geht, und je besser man sich das Leben eingerichtet hat, um so dringender versucht man es zu vermeiden. Und je dringender man es zu vermeiden sucht, desto dringender meldet sich das Unvermeidliche.
Ja was hätte er dann tun sollen? Ich weiss es auch nicht. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er Anfang jener Woche ins Büro angerufen hätte und gesagt hätte: Entschuldigung, ich kann nicht kommen, ich fühle mich zu schwach.
Doch Mani hätte schon als Pfadfinder kein einziges Mal gefehlt. Also ging er diese Woch ins Büro und fuhr auch nach Rapperswil, wo er zum erstenmal seinen eigenen Nekrolog "einisch am ne morge" als Zugabe singen wollte.
Aber natürlich war er auch unachtsam.
Am 24. 11. 1972 kam Mani Matter bei einem Unfall ums Leben
Gedanken zu Manis Tod
Franz Hohler
Mani Matters Tagebuch II 1962
"Was wollt ihr?" fragte der Parlamentarier die Bürger, die ihn gewählt hatten und mit ihm unzufrieden waren.
"Was wollt ihr? Sagt es. Ich will es gerne vertreten."
"Dass du uns nicht fragst", antworteten die Bürger, "Wollen wir."
"Was soll ich denn tun?" fragte jener.
"Was du für richtig hältst", sagten die Bürger.
"Aber wie kann ich denn wissen, dass ihr nicht wieder unzufrieden seid?"
"Das soll dich nicht kümmern!" sagten die Bürger.
"Mich nicht kümmern? Bin ich denn nicht euer Vertreter?"
"Doch; aber das will nur sagen: Wir haben dich gewählt.
Es heisst nicht: Do sollst dein Amt nicht selbst ausübeb?"
"Was versteht ihr denn darunter: mein Amt selbst ausüben?"
"Dich nicht hinter unserem Willen verstecken", erwiderten die Bürger. "Die Verantwortung übernehmen!"
"Und wenn ihr nicht einverstanden seid? fragte der Parlamentarier.
"Dann wählen wir dich nicht mehr."
"Das wäre schlimm!"
"Nein", sagten die Bürger; "schlimm ist, dass du das schlimm findest."
Der Parlamentarier schwieg verwirrt.
"Was galubst du", sagten die Bürger, "übst du dein Amt aus, damit wir dich zu ihm wählen, oder wählen wir dich, damit du es ausübst?"
Der Parlamentarier entfernte sich kopfschüttelnd...
Manimatters Sudelhefte / Benziger Verlag 1974
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