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UN-Menschenrechtsrat schafft das Mandat des Unabhängigen Experten
zur Förderung einer demokratischen und gleichberechtigten Weltordnung
Interview mit Professor Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas
thk. Professor Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas
wurde am 23. März zum Unabhängigen Experten bei der Uno zur Förderung
einer demokratischen und gleichberechtigten Weltordnung vom
Menschenrechtsrat ernannt. Er ist der erste, der dieses neu geschaffene
Mandat übernehmen durfte, um so im Bereich der Demokratisierung der Uno
und der in ihr vereinten Nationalstaaten wirken zu können. Bereits in
der Herbstsession des Uno-Menschenrechtsrates hat Alfred de Zayas seinen
ersten Bericht vorgelegt und ist dabei auf grosse Zustimmung gestossen.
Der Unabhängige Experte, der eine lange Karriere an der Uno aufweist,
war, wie er selbst sagte, nicht ganz unerwartet zu diesem Amt gekommen,
da er sich schon sehr lange mit der Frage der Ausgestaltung echter, das
heisst direkter Demokratie, wie sie in der Schweiz existiert,
beschäftigt hat. Mit seinem Mandat möchte sich Alfred de Zayas für den
Frieden und die Gleichwertigkeit der Völker einsetzen. Zeit-Fragen hat
Professor de Zayas an der Uno in Genf getroffen.
Zeit-Fragen: Herr Professor de Zayas, wie muss man die Aufgabe Ihres Mandats verstehen?
Prof. Dr. de Zayas: Die Aufgabe bedeutet eine
Synthese von bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, kulturellen
und sozialen Rechten. Es ist ein versöhnliches Mandat, das auf
Zusammenarbeit bzw. Solidarität abzielt. Die Staaten des Nordens, des
Südens, des Ostens und des Westens sollen sich in diesem Mandat finden
und darin etwas Verbindendes sehen. Es ist ein konstruktives Mandat, das
auf den Zielen und Grundsätzen der Uno-Charta aufbaut. Es ist also kein
Mandat, das gegen einen bestimmten Staat, gegen eine bestimmte Region,
gegen eine bestimmte Philosophie oder Ideologie zielt.
Hier geht es
um zweierlei: um eine Demokratisierung auf der nationalen Ebene, aber
auch auf der zwischenstaatlichen, internationalen Ebene.
Was muss man sich unter einer Demokratisierung auf internationaler Ebene vorstellen?
Wir brauchen eine Weltordnung, die wirklich
demokratisch ist, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.
Das bedeutet, dass alle Staaten daran beteiligt werden müssen. Bei
Entscheidungen, die das Zusammenleben auf unserer Welt betreffen, müssen
alle Staaten als Vertreter ihrer Völker etwas zu sagen haben. Diese
Gleichberechtigung, die Gleichwertigkeit aller, ist zentral im Text der
Resolution 18/6, die das Mandat begründet hat. Ich werde mich sehr genau
an den Wortlaut der Resolution halten, wie ich bereits in meinem ersten
Bericht gezeigt habe.
Was soll damit erreicht werden?
Die Staaten der sogenannten dritten Welt, die
Staaten des Südens, möchten eine Weltordnung, die auf Gerechtigkeit
basiert. Sowohl der Handel als auch die Verteilung der Ressourcen muss
gerecht geschehen. Die Kluft zwischen Arm und Reich darf nicht weiter
vergrössert, sondern muss verkleinert werden. Ohne dass ich bestimmte
Staaten nennen muss, kann ich die Thematik erkenntnistheoretisch so
behandeln, dass ich Begriffe wie Demokratie, Gerechtigkeit,
Gleichwertigkeit, Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und nationale
Identität mit Leben füllen kann.
Wie ist hier Ihre Vorgehensweise?
Es finden sich bei den Vereinten Nationen enorme
Quellen dazu. Ich werde mich dabei auf die Berichte von ehemaligen
Rapporteuren stützen, auf Studien der Unterkommission der ehemaligen
Menschenrechtskommission, des Menschenrechtsrates selbst oder auf
Studien der Generalversammlung. Gewiss beabsichtige ich keine
Wiederholung dessen, was bereits gemacht worden ist. Ich werde aber
darauf aufbauen. Wie Sie wissen, war ich Sekretär des
Menschenrechtsausschusses und Chef der Beschwerdeabteilung. Auch die
Jurisprudenz des Ausschusses steht mir zur Seite.
Wie schätzen Sie den Wirkungsgrad dieses Mandats ein?
Ich bin sehr optimistisch, was das Mandat
anbetrifft, weil bereits viele positive Reaktionen bei mir angekommen
sind, seitdem ich ernannt und meine E-Mail-Adresse an der Uno für alle
bekannt wurde, nämlich ie-internationalorder(at)ohchr.org.
NGO, Intergouvernamentale Organisationen, Staaten, zivile
Organisationen und einzelne Personen haben sich mit konkreten
Vorschlägen bei mir gemeldet – zum Beispiel, wie sie mein Mandat
verstehen, wo sie die Prioritäten sehen usw. Diese Anliegen und
Vorschläge nehme ich ernst. Ich werde alles genauestens studieren.
Bereits in meinem Bericht an den Menschenrechtsrat habe ich unter
Absatz 11 eine Liste von Themenvorschlägen, die ich von Interessierten
erhalten habe, zitiert. Ich werde diese Vorschläge natürlich bevorzugt
behandeln.
Was entsteht aus all diesen Anregungen und Anfragen?
Ich werde mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Bericht
über den Begriff der Partizipation bzw. der Teilnahme der Menschen an
der politischen Gestaltung in der Demokratie schreiben, aber über die
Mitbestimmung auf der nationalen und internationalen Ebene, über Fragen
der Manipulierung der öffentlichen Meinung usw. schreiben. Diese Studien
werde ich dann nächstes Jahr dem Menschenrechtsrat vorlegen. Dabei geht
es innerstaatlich nicht nur um das Wahlrecht, sondern auch um das
Recht, politische Regeln mitzugestalten. Demokratische Wahlen alle
vier Jahre sind eine gute Sache, aber man muss wirkliche Optionen haben
und nicht nur pro forma stimmen. Die Bevölkerung muss auch die
Gelegenheit haben, die Aussenpolitik authentisch mitzugestalten, so dass
Regierungen nicht mehr gegen den Willen der Bevölkerung Aussenpolitik
betreiben können.
International gesehen, sollten die UN bzw. der
Sicherheitsrat insofern reformiert werden, dass mehr internationale
Teilnahme bzw. Demokratie verwirklicht wird.
Im Oktober sprechen Sie vor der Generalversammlung. Worum geht es dort?
Ja, ich muss einen anderen ausführlicheren Bericht
der Generalversammlung präsentieren. In diesem Bericht identifiziere ich
eine Reihe von Hindernissen und versuche, gute Praktiken zu nennen und
der Generalversammlung Empfehlungen zu unterbreiten. Das wird am
30. Oktober 2012 in New York – deo volente – geschehen. Ich werde sehen,
welche Reaktionen die Staaten in der Generalversammlung auf meinen
Bericht zeigen, was sie mir vorschlagen werden.
Wie kann man die Grundlagen des demokratischen
Zusammenlebens anderen Ländern vermitteln? Ein «arabischer Frühling»
oder militärische Interventionen der Nato helfen hier sicher nicht
weiter.
Ich verstehe mein Mandat nicht als ein Mandat des
Naming and Shaming. Mein Mandat ist, wie bereits gesagt, ein
konstruktives, das helfen soll, diese Begriffe überall gleich zu
verstehen. Wenn ich Demokratie sage, sollte das mehr oder weniger
dasselbe sein, was auch eine Person in Nordamerika, Südamerika,
Australien, Osteuropa, China, Indien oder Afrika darunter versteht. Es
darf nicht sein, dass Demokratie à la carte verstanden wird, genauso
wenig, wie es inakzeptabel ist, dass das Völkerrecht nach Belieben
angewandt wird. Eines der Haupthindernisse für den Weltfrieden und das
Erreichen einer demokratischen und gerechten «Weltordnung» ist nämlich,
dass viele Staaten das Völkerrecht nicht gleichmässig anwenden, hier
sagen sie ja und dort nein. Ohne bestimmte Staaten kritisieren zu
wollen, möchte ich auf diese fundamentale Problematik hinweisen.
Letztlich glaube ich, um ein englisches Wort zu verwenden: «The bottomline is participation.»
Das bedeutet?
Das heisst, die Bürger müssen an der Politik
teilhaben und mitgestalten können, und zwar direkt. Das Modell der
direkten Demokratie bietet hier enorm viel. Man muss die Möglichkeit
haben, eine Gesetzgebung zu initiieren. Die Möglichkeit zur Prüfung von
Gesetzen durch Referenden, aber auch die Möglichkeit, Regierungsbeamte
bzw. Politiker zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie eine ganz andere
Politik führen, als sie versprochen haben – das muss das Wesen der
Demokratie sein. Die gewählten Politiker müssen belangt werden können,
wenn sie das Versprechen, das sie dem Bürger gegeben haben, gebrochen
und somit das Vertrauen missbraucht haben. Darum muss es eine
Möglichkeit geben, diese Personen aus dem Amt zu entfernen. Bei uns in
den USA gibt es dafür den Begriff des Recall oder Impeachment.
Ich
werde also das Modell der direkten Demokratie genau studieren. Es geht
um die Frage, wie man dieses Modell mit gewissen Abänderungen in anderen
Ländern anwenden könnte. Allerdings muss man bei jedem Land seine
Historie, seine Kultur, seine Tradition und seine individuellen
Vorstellungen des Zusammenlebens berücksichtigen.
Welche Rolle hat für Sie dabei der Nationalstaat?
Genauso wie im antiken Griechenland mit der Polis
ein Staat entstanden ist, in dem die Bürger an der Politik teilnehmen
konnten, so soll es für die einzelnen Länder auch gelten. Also der
Nationalstaat ist bei diesem Vorgang entscheidend. International gesehen
möchten wir, dass alle Staaten das Recht haben, gleichwertig und
gleichberechtigt die Weltpolitik zu gestalten. Aber auch intern, also
national gesehen, müssen die Bürger eines bestimmten Staates für die
eigene Identität, für die eigene Kultur die für sie richtigen Gesetze
annehmen und eine Politik wählen, die die Menschenrechte und die Würde
von allen Bürgern gewährt.
Herr Professor de Zayas, wir wünschen Ihnen viel
Erfolg bei der Ausgestaltung Ihres Mandats und danken Ihnen herzlich für
das Gespräch. •
Leser werden von Professor de Zayas herzlich gebeten, Ihre Vorstellungen an ie-internationalorder(at)ohchr.org zu verschicken.