Donnerstag, 2. Dezember 2010

Die Forschung zwischen Wissen und gewissen










 
Wenige Tage nach Roosevelts Rede vor den amerikanischen Wissenschaftlern, durch die er sich von der Verantwortung freigesprochen fühlte, trat Edward Teller dem „Uranprojekte“ bei. Er sollte später zum „Vater der Wasserstoffbombe“ werden.
Mit der Beantwortung dieser Frage hätte sich der reine Forscher eigentlich begnügen können. Aber dies alles geschah in der Welt von 1939, in der schwülen Atmosphäre vor dem ausbrechenden Weltgewitter.
Und die grundlegende Entdeckung wurde ausgerechnet im Reiche jenes diabolischen Fanatikers gemacht, über dessen Ziele und Methoden der Welt die Augen allmählich aufgegangen waren. Ein Glück, dass sich unter den aus dem Dritten Reich Vertriebenen gerade auch viele der nahmhaftesten Atomphysiker befanden: Albert Einstein, James Franck, Edward Teller, Max Born; und aus dem mit Deutschland verbündeten Italien war eben der geniale Enrico Fermi nach Amerika ausgewandert.
Den politisch und militärisch grösstenteils vollkommen unerfahrenen Atomphysikern war es sofort klar, dass eine Macht, die allein im Besitze von Atombomben wäre, mit Leichtigkeit die ganze übrige Welt unterwerfen und tyrannisieren könnte. Und unter der Last der grauenhaften Vorstellung eines atombombenbewehrten Hitler, die zu jener Zeit kein Politiker und kein General sich auszumalen in der Lage war, fühlten sich die amerikanischen Physiker verpflichtet, ihre Regierung auf diese wahrhaft höllische Möglichkeit aufmerksam zu machen.
Der Mann, dessen gewissen sich am frühesten regte und der als erster etwas unternahm, war der damals 45jährige Amerika-Ungaro Leo Szilard.
Am gleichen Tage meldeten die Zeitungen Hitlers Einzug in den Haradschin in Prag. Für die Atomphysiker bedeutete dies vor allem, dass Deutschland damit in den Besitz des ergiebigsten europäischen Uranvorkommens gelangte. Wenig später schien die Nachricht, dass die Ausfuhr von Uranerz aus dem Protektorat Böhmen und Mähren gesperrt worden sei, die Befürchtungen der amerikanischen Physiker zu bestätigen, dass die Deutschen bereits an der Herstellung einer Atombombe arbeiten. Sie ahnten nicht, dass dies eine rein wirtschaftliche Massnahme war im Zuge vieler anderer, und dass das deutsche „Uranprojekt“ noch gar nicht in Gang gesetzt war. Dieses wurde erst vier Monate später, kurz nach Kriegsausbruch, ins Leben gerufen.
Zu dieser Zeit, im Herbst 1939, unternahm Leo Szilard einen neuen Versuch, die amerikanische Regierung auf die Möglichkeit, der Atombombe und auf die tödliche Gefahr, die Amerika im Falle eines deutschen Vorsprungs auf diesem Gebiet drohe, aufmerksam zu machen.
Fast genau ein Jahr später, am 2. Dezember 1942, war das erste grosse Ziel erreicht: in einem aus 42 Tonnen Uran und 350 Tonnen reinstem Graphit aufgeschichteten „Atommeiler“ wurde in Chicago unter der Leitung von Enrico Femi, der nach der Kriegserklärung der Achsenmächte an Amerika als „feindlicher Ausländer“ galt, die erste sich selbst erhaltende atomare Kettenreaktion ausgelöst. Dies war die eigentliche Geburtsstunde des Atomzeitalters.
Gerhart Wagner: geboren am 1920 in Bern. Studium in Naturwissenschaften (Zoologie, Botanik, Physik) in Bern und Genf.

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