Aufnahme-Datum: 15./16. Dezember 1926 in Berlin
Der Belcantist der
Geige Fritz Kreisler Von der Jahrhundertwende bis etwa in die vierziger Jahre war der Name Fritz Kreislers schier identisch mit der Idealvorstellung von geigerischer Kunst: trotz Adolf Buschs, des noblen Stilisten, trotz Bronislav Hubermanns, des brillanten Technikers, trotz Heifetz, des feurigzupackenden Virtuosen, galt Kreisler als der Geiger seiner Zeit, war er populär wie ein Tenor, der sich nicht scheu, seine Kunst auch an die Salon-Piece zu "verschwenden" (was Kreisler, auf seine Weise, mit unnachahmlichem Charme machte, man denke nur an "Liebesleid").
Kreisler wurde am 2. Februar 1875 in Wien als Sohn eines aus Krakau stammenden Arztes geboren. Die Familie galt als hochmusikalisch, und der Bruder von Fritz, Hugo, ist wohl nur deshalb als Cellist nicht bekannt geworden, weil Fritz als Geiger imperialen Ruhm erlangte. Als Siebenjähriger kam Kreisler, mit Sondergenehmigung und studierte bei Hellmesberger; sein Kompositionslehrer war Anton Bruckner. Auch als Pianist brachte er es soweit, dass seine Biographen gern die Anekdote aus dem Munde Paderewskis erzählen, der geäussert haben soll, wie froh er sei, dass Kreisler sich für die Violine und nicht für das Klavier entschieden habe. Als Zehnjähriger kam Kreisler nach Paris an das Conservatoire, wo er in der Klasse von J. L. Massart studierte für nur zwei Jahre; dann war er so perfekt, dass seine Lehrer ihm nichts mehr beibringen konnten.
1888 brachte ihm eine Konzerttournee durch die Vereinigten Staaten, die er mit dem phänomenalen Pianisten Moritz Rosenthal, einem der besten Schüler Liszts, unternahm, die ersten Erfolge, doch danach wurde es einige Jahre recht still um ihn. Er ging nach Wien, machte sein Abitur, absolvierte die Militärzeit und begann mit dem Medizinstudium. Als er sich bei den Wiener Philharmonikern um die Stelle eines zweiten Geigers bewarb, fiel er durch. Die Gründe für dieses "Versagen" sind nicht recht eindeutig: Carl Flesch, selbst ein ganz grosser Geiger und einer der bedeutendsten Pädagogen und Theoretiker des Geigenspiels, vermutete, dass man das genialische Talent einfach verkannt habe; Joachim Hartnack indes äusserte in seinem hoch-instruktiven Buch "Grosse Geiger unserer Zeit" die Ansicht, dass Kreisler zu jener Zeit seine Technik nicht befriedigend unter Kontrolle gehabt habe und dass, möglicherweise, die schon früh bei ihm ausgeprägte sinnliche Expressivität des Spiels bei den auf reinen Stil bedachten Prüfern unangenehm aufgefallen sein.
Das "Versagen" bei der Prüfung aber zeitigte kritische Selbstkontrolle: Kreisler begann aufs neue zu studieren versah seine Technik mit dem unabdingbaren Schliff und disziplinierte, was in seinem Spiel, in seinem über die Massen effektvollen Ton immer durchklingt: eine geradezu rauschhafte Sinnlichkeit. 1899 spielte Kreisler in Berlin unter Nikisch das e-Moll-Konzert von Mendelssohn. Das Konzert war eine Wachablösung: denn Joseph Joachim, der bislang in Berlin geherrscht hatte, wurde durch Kreisler buchstäblich entthront. Joachim Hartnack: "Mit seinem kraftvollen und sinnlich-betörenden Ton überwand Kreisler seine Vorgänger in der Gunst des Publikums. Angesichts der Kreislerschen Tonfülle erschienen die bis dahin so geschätzte glatte Eleganz Sarasates dünnblütig und Joachims vibratolose introvertierte Lyrik akademisch trocken."
Das deutet unausgesprochen auf eine, vermutlich von Kreisler innovierte, technisch-interpretatorische Neuheit: auf das von Kreisler viel stärker als je von Kollegen zuvor als Ausdruckmittel gebrauchte Vibrato.
Das fast ständig angewandte Vibrato verlieh Kreislers ohnehin schon bestrickendem Ton eine ungeheure Wirkung. Man mag bedenklich finden, dass man das zu einer fast kulinarischen Qualität umfunktionierte, und vor allem Pianisten werden spöttisch reagieren, wenn man auf den "Ton an sich" als auf das an Kreisler Faszinierende verweist. Doch bei einem Geiger, da ist der Ton der Mensch selbst, und insofern ist Kreisler einzigartig und unverwechselbar.
Von Beethovens Violinkonzert hat der Geiger zwei Aufnahmen gemacht: die hier vorliegende unter Leo Blech und, fast ein Jahrzehnt später, eine weitere unter Sir John Barbirolli. Die zweite Aufnahme, wenn auch gleich noch von höchstem Rang, zeigt Kreisler nicht mehr auf der Höhe seines ganzen könnens: der vormals so kraftvolle, selbstgewisse, sinnliche Ton klingt verhaltener, gebrochener, ihm fehlt die vitale männliche Kraft. Die frühere Aufnahme zeigt Kreisler im Glanz eines selbstbewusst-sinnlichen Spiels, spontan engagiert, aber durchaus lyrisch; fast ein kleines Wunder ist die Begleitung Leo Blechs, der die damaligen technischen Probleme bei der Aufnahme eines grossen Orchesters mühelos durch eine beispielhaft transparente, deutlich artikulierende und atmend-phrasierende Begleitung überspielt. Über diese Aufnahme, deren dokumentarischer Wert kaum hoch genug zu veranschlagen ist, urteil Hartnach: "…was alle anderen nicht haben, das hatte Kreisler: die schwärmerische Lyrik eines späten Romantikers Wiener Provenienz." Vielleicht ist eines nachzutragen: Kreisler war nicht nur ein glänzender Geiger; er strahlte vor allem einen gewinnenden, persönlichen Charme aus, auch in seinem Spiel; dieser Magnetismus (darf man ihn Persönlichkeit nennen?) hatte sicherlich Teil an dem unermesslichen Erfolg des Künstlers.
Inbegriff des Kapellmeisters – Leo Blech
Der 1871 geborene Leo Blech galt als der Inbegriff kapellmeisterlicher Zuverlässigkeit und Vielseitigkeit. Eine Blech-Aufführung - das gewährleistete absolut präzise Vorbereitung und sicheren Ablauf, und geflügeltes Wort war, dass man sich, als Sänger oder als Instrumentalist wie in Abrahams Schoss fühlen konnte, wenn Blech am Pult stand. Der Kompositionsschüler von Humperdinck, der noch die Personalunion von Kapell-meister/Komponist wahr machte, kam auf Empfehlung von Richard Strauss im Jahre 1906 an die Lindenoper in Berlin, an der er 1913 musste er vor den Nazis nach Riga und dann nach Stockholm fliehen. 1949 erschien er wieder am Pult der Städtischen Oper in Westberlin hat Leo Blech es auf die kaum glaubliche Zahl von 2600 Aufführungen gebracht, und sicherlich zu seinen grössten Leistungen (neben seinen massstäblichen Carmen-Verdi- und Waner-Interpretationen) gehört, dass er die modernen Komponisten seiner Zeit, die Opern von Strauss, Berlioz, Borodin und Busoni engagiert auf den Spielplan brachte. A.S.
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Fritz Kreisler – Belcantis of the violin
From the turn of the century up to, say, the forties the name Fritz Kreisler was practically identic with an ideal of the art of playing the violin: despite Adolf Busch, the fine stylist, despite Bronislav Hubermann, the brilliant technician, and despite Jascha Heifetz, the fierce light fingered virtuoso, Kreisler was regarded the violin virtuoso at his time. He was as popular as a tenor who does not mind to “lavish” his art to a piece of salon music as well – as Kreisler did with incomparable charm, as e. g. in “Liebesleid”.
Fritz Kreisler was born in Vienna on 2nd February 1875 as son of a medical doctor who had come from Cracow. The family was known to be highly musically gifted, and Fritz´s brother, Hugo, was only not better known as a cellist as he was shadowed by Fritz who became famous all over the world. At seven, Fritz attended the conservatory with a special authorization necessary because of his age. He studied the violin with Hellmesberger and composition with Anton Bruckner. He also showed a fine talent for the piano so that biographers like to quote an anecdote of Paderewski who had said that he was happy that Kreisler had decided for the violin and not the piano. At ten, Fritz Kreisler came to the Paris Conservatoire where he attended the classes of J. L. Massart – only for two years, then he had developed such mastership that there was nothing to study for him.
In 1888 he toured the USA together with the outstanding pianist Moritz Rosenthal, one of Franz Liszt´s best students, and he was extremely successful, Then, however, hardly anything was heard of him for a couple of years. Kreisler returned to Vienna, passed his Abitur, did his national service and bean to study medicine. When he applied at the Viennese Philharmonic for the position of a second violinist he failed. The reasons for his “failure” are not quite clear. Carl Flesch, who was an excellent violinist himself and one of the most important pedagogues and theorists, supposed that the talent of the genius was not recognized; Joachim Hartnack remarked in his book “Grosse Geiger unsure Zeit” (Great Violinists of our Days) that Kreisler, at that time, had not had sufficient control of his technique, and that probably his emotional expressiveness which Kreisler had shown already very early, did not agree with the jury looking for a pure style.
This failure, however, resulted in critical self-control: Kreisler began to study again so that this technique got its final touch. He also learned to control what was so striking in his extraordinarily impressive tone and what was to be recognised at any time: his actually intoxicating sensuousness. In 1899, Kreisler performed Mendelssohn`s Concerto in e-minor in Berlin with Nikisch at the rostrum. This event turned out to be a “changing of the guard: Joseph Joachim, who, to that day, had dominated the Berlin scenes, was dethroned by Kreisler: he used the vibrato as a means of “Kreisler, with his vigorous and sensuous play easily surpassed his predecessors in the public´s esteem. With Kreisler´s sound in mind Sara sate’s smooth elegance which had been so much appreciate before seemed thin and bloodless, and Joachim´s vibratoless and introvert lyrics were at once thought academic and dry”.
Although it is not particularly mentioned this remark gives a hint to a technical novelty in interpretation which, most probably, was initiated by Kreisler: he used the vibrato as a means of expression and would apply it more frequently than his colleagues had ever done. The continuous vibrato made Kreisler´s fascinating tone even more captivating. It might be thought somewhat suspicious that this characteristic was transferred to a nearly culinary quality, and, above all, pianists will mock at the statement that “the very tone” was the most fascinating about Kreisler. But in case of a violinist the tone is the virtuoso himself, and from this point of view Kreisler was unique incomparable.
Kreisler recorded Beethoven´s concerto twice: the first recording was realized under Leo Blech, and nearly ten years later, the second one under Sir John Barbirolli. The second recording, although it is of extreme artistic rank as well, proves that Kreisler had surpassed the peak of his art; his formerly so vigorous, self-conscious, sensuous tone had become more suppressed, it lacked the vital, manly elan. The older recording shows Kreisler´s entire brilliance, his intoxicatingly sensuous art, spontaneous, engaged, but lyrical as well. Leo Blech´s accompaniment is like a miracle, he mastered the technical recording problems of those days by means of absolute transparency, clear articulation and fine phrasing. Hartnack noted on this recording the documentary value of which can hardly be estimated:
“…Kreisler had something all others lacked: the fanciful lyrics of a late romanticist of Viennese origin.” Perhaps there is another fact worth mentioning: Kreisler was not merely an extraordinary violinist; he also exuded a captivating personal charm, and he did so when playing as well. This magnetism (may we call it personality?) certainly contributed a lot to the virtuoso´s overwhelming success.
Leo Blech, Embodiment of a Conductor
Leo Blech, born in 1871, was considered the embodiment of reliability and versatility. Every Blech concert and a faultless performance, and, as it was said, every singer or instrumentalist could feel on Abraham´s bosom whenever Leo Blech was at the rostrum. Blech, who had studied composition with Humperdinck, incorporated the traditional ideal of being conductor and composer alike. By a recommendation of Richard Strauss he was engaged at the Berlin “Linden Oper” in 1906 where he was appointed “Generalmusikdirektor” in 1913. In 1937, under the Nazi regime, he fled to Riga and, later – on, to Stockholm. In 1949 he returned to the rostrum of West Berlin´s opera. At the “Linden Oper” Blech conducted the nearly unbelievable number of 2600 performances, and it is his merit (apart from the mark he set by his production of “Carmen” and the interpretation of Verdi´s and Wagner´s operas) to have included contemporary works, I. e. operas by Strauss, Berlioz, Borodin and Busoni to the repertoire of the “Linden Oper”.
Translation by Anne Frese
ELECTROLA GESELLSCHAFT M. B. H. KOLN 1926
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