Sonntag, 22. August 2010

Kleinstadt-Idylle im Ententeich















Kleinstadt-Idylle im Ententeich
Es ist so hübsch bei uns. Wir haben alle Blumentöpfe vor den Fenstern, fluchen nicht und führen kein ausschweifendes Nachleben. Wir sind freundlich, betreuen gegenseitig die Kinder, haben Verständnis für Er-und Beziehungsprobleme, laden uns gelegentlich zu einem schnellen Cappuccino oder, wenn wir fast entspannt sind, zu einem Glas Wein ein. Die Kehrabfuhr kommt pünktlich, wir zahlen unsere Hypothekarzinsen termingerecht. Die Quartier skandälchen, über wer, wen verlassen hat und warum, tolerieren wir mit distanziertem Lächeln und moderner Akzeptanz, schliesslich sind wir keine Bünzlis. Es gibt eigentlich nichts zu klagen, der Wald ist nah zur Erholung, die Schule in Ordnung, im Market darf ich mal das Portemonnaie vergessen haben, und mein Velo wird hier nicht geklaut.
Wie Entenmütter, die Brut im Schlepptau, schwimmen wir zufrieden im Teich und quaken stolz und glücklich in die Luft. Immer schön im Kreis herum, dankbar, dass kein Fuchs und kein Jäger die Idylle bedroht. Die anderen fetten und zufriedenen Entenpaare bestätigen, wie gut wir es doch haben. Unter wetzt der Teich zwar Algen an, die Männer haben Rückenweh und Magengeschwüre oder legen sich die Sattheit in Frage, suche einen Abfluss aus dem schmucken Teich in fliessender Gewässer. Konsterniert wird mein Wunsch nach Bewegung abgewehrt, den Enten sträubt`s die Federn. Ich werde von den Vorteilen eines Gartengrills überzeugt, belehrt, wie privilegiert wir sind und wie glücklich die Kinder hier doch schwadern. Eine besonders glückliche Ente hebt entrüstet ihre Stimme, quakt ernst von Verantwortung, beteuert, wie wichtig ein geschütztes Umfeld für die Entwicklung der Jugend sei und das sei doch, weiss Gott, genau hier der Fall.
Ich tauche beschämt und finde zum Trost ein paar Schnecken. Aber ich möchte meine Flügel ausbreiten, und wenn ich meine zwei Kücken ansehe, wie die kräftig mit den Flügeln schlagen und neugierig in die Welt gucken, schweift mein Blick erneut zum Abfluss, will raus aus dem behaglichen Gewässer auf den Fluss und aufs Meer.
Werden wir wehmütig an den netten Teich denken, wenn reissende Wasser, Stromschnellen, abschüssige Ufer und wilde Tiere unsere gewohnte Sicherheit bedrohen? Eine Vergnügungsfahrt wird es kaum. Aber mutig will ich meine Kinder mit dem Leben konfrontieren, das Schwimmen habe ich ihnen beigebracht, die Richtigung gebe ich noch an, wie weit sie an meiner Seite paddeln wollen, wird sich weisen. Offen sein für das Panorama an vielen Ufern sollen sie lernen und ihren eigenen Landeplatz suchen. Im Fluss sein mit dem Leben, nicht statisch, nicht Althergebrachtes blind übernehmen: Die Flügel ausbreiten. Den Rest bis zum Meer werden wir fliegen.

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