Donnerstag, 2. August 2012

Anneliese Felsenstein "Glücklicher Lust auf ihren Wangen"

Söhne, kaum aus dem Schosse
der Mutter gelöst,
werden zu Schwertern,
die sie zerfleischen –
Mütter, mit den noch
fliessenden Tränen
glücklicher Lust auf ihren Wangen
Rasen, um Söhnen den Tod zu bereiten –
Der Mensch ist nicht mehr!
Stücke fiebernden Fleisches
tragen sein Angesicht.
 Du bittest?
Kein frommes Wunder
Wird dir mehr auf deinem Pfahl.
Eher hören ferne  Geschlechter
Welten versinken,
die für sie untergehn,
als der nahe Mensch
deinen Schrei um Erbarmen.
AN DIE FRAUEN
Nichts ist mehr wichtig!
Dass du den Mann betreut,
ein Kind geboren,
ist nun dein Jammer.
Aus deiner Sorgfalt
ist ein stinkend Aas geworden.
Wenn du zu nichts mehr taugen kannst,
lass dich missbrauchen, Weib!
So dienst du Vaterland!
Und auch Soldaten.
und wenn sie dich zu Tode schleifen,
hast du den Trost,
dass sie die Haut mit dem Gefühl
zugleich dir abzogen.
Schlafe, mein Kind, schlaf ein!
Danke dem guten Tod,
sterben darfst du
und musst es nicht wissen,
sterben darfst du –
ein Falter über den Blüten;
kleines Menschlein,
du wirst nie ahnen,
was für ein Ungeheuer tief in dir ruht.
Schlafe, mein Kind, schlaf ein!
Sterben darfst du,
ohne für andere zu bluten,
sterben darfst du,
ehe andere für dich gestorben…
Kleines Menschlein, wirst darum aufgebahrt
Als der Menschheit grösstes Wunder.
Schlafe, mein Kind, schlaf ein!
Danke dem guten Tod, sterben darfst du,
fern von der grausen Wahrheit,
sterben darfst du, fern einer Mutter,
die längst nicht mehr weint;
kleines Menschlein, musst nie erfahren,
dass du ein Schlächter würdest oder sein Frass.
Auch diese Mutter wird nicht sterben können-
In den Gräben der Mütter
hat die Hoffnung den Tod besiegt.
Wartend liegen die
mit tiefster Nützlichkeit gekrönten,
wartend mit jedem Tropfen ihres Blutes,
dass endlich diese Schöpfung sich vollende –
und Götter, Engel, Menschen sich verbrüdern,
ihr Kind zu hüten.
 Ich möchte nach der Mutter schreien!
Wär ich ein Kind,
so käme sie und führte mich hinweg.
Was werde ich tun,
wenn sie mich nicht gleich sterben lassen,
wenn sie mich nur ins Auge schliessen
oder in den Bauch?
Was werd ich tun?
Mutter, Mutter!
 Die Menschen wollen dich
Dem Himmel näher bringen
und hängen dich an einem Baum.
Leck nicht den Boden weiter auf,
denn deine ausgerenkte Zunge
wird deinen Schuh nicht mehr erreichen.
Sei dankbar denen,
die dich hängen;
nicht jeder kann so Mittler
zwischen Welt und Himmel werden.
Was soll dein Jammern?
Hat dir der Priester nicht gesagt,
auch dieses sei ein Weg,
um Gott zu schauen?
 Versenkt sie in die Erde!
Sie waren arm,
und darum auch zu viele.
Versenkt sie in die Erde,
denn dort ist Platz,
weil nicht die Seelenlosen herrschen;
dort wird dem Ärmsten noch
sein Anteil an
Gewissenheit und Befreiung.
Versenkt sie in die Erde!
Besitz ist machtlos in den Gräbern,
denn Tote kennen keine Gier.
Wenn ihnen aber die Lebendigen
auch diesen Platz missgönnen,
so werden für Gerechtigkeit
die Würmer sorgen.
Sie wollten keine grosse Tat begehen
und sind doch ewiger als Helden.
Ihr Tod hat im Erdreich
der Seele Wurzeln geschlagen.
Sie wird das grosse Vermächtnis noch ehren,
wenn Denkmäler längst von den Zeiten begraben!
 Gebt einen Sarg den dunklen Brüdern!
Wohl hat die gewaltige Schöpfung Raum
für Unrat und ragende Berge,
doch beengend sind für die weisse Brust
die Tränen von farbigen Lidern.
Sie haben kein Brot, euch zu nähren!
Wohl dreht sich mit ihnen und euch
die in Fruchtbarkeit glühende Erde,
doch dunkles Brot müsst auch Ihr bald sein,
um ihren Reichtum zu mehren!
Seht diese Früchte,
die in der Sonne satter Träumer brennen
und an den Nabelschnüren jener hängen,
die nur die Lust des Zeugens,
nie die Qualen des Gebärens kannten,
an diesen Früchten sollt Ihr sie erkennen.
 Du muss fröhlich sein!
Alle blicken zu dir hin.
Nichts ist dir geschehen!
Die Arme haben sie dir abgeschlagen,
die Füsse, und dir die Brust durchbohrt –
doch lachen kannst du noch,
denn deine Seele wird weiter,
unbeschadet um Erkenntnis ringen!
Um die Knochen,
die uns die grossen Herren
übrig liessen, mussten wir uns wie Hunde balgen.
Ins warme Bett konnten wir erst steigen,
wenn wir die anderen in die Kälte jagten.
Um zu lieben musste man bereit sein,
auch zu sterben wie der Gekreuzigte

Viele weinten in ihrer Ohnmacht.
Wer könnte lieben so wie Er?
Wer nicht durch Liebe
den Bruder besitzen kann,
wird stets versuchen,
ihn sich als Ware
zu eigen zu machen,
um diese
ganz nach Belieben
hinter sich herumzuschleifen.
Sie starben schwer
und hätten gern gewusst, warum,
Nie haben sie gehasst,
nichts wollten sie als lieben.
Seid Leuchter auf dem blutigen Altar,
Ihr Menschen,
und einer künftigen Welt
wird dieses Unmuss von Leichen
festeren Boden gehen,
als der nackte Grund es vermochte.
Dies sei der Grabgesang;
Wir rufen dich, o Tod!
Gib durch uns neues Leben denen,
die so schuldlos starben!
Tod, bis jetzt das Werkzeug rasender Henker,
reich endlich dem Gerechten deine Fahne!
 Wenn einer weinen wird,
um das Leben des Bruders,
nur ein einziger weinen –
als stürbe er selber tausend Tode,
als müsst er versinken
in diese Nacht,
wird neue Helle
auf zum Himmel steigen
und eine Stimme sich erbarmen
und nochmals rufen:
Es werde Licht !

ANNELIESE FELSENSTEIN
DIE  SCHRECKNISSE  DES  KRIEGES
Ein Gedichtzyklus
zu  Radierungen  Francisco  de  Goyas
Zürich  1942  -  1944  

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