Im Spiegel nur der
Einsamkeit
wird Gottes Licht
geboren;
Wer sich der ew`gen
Liebe weiht,
Der nahe unseren Toren!
Hafis Nr. 573/1
Der Ausgabe Brockhaus.
Wer
sich in ihre Welt vertiefen will, der lerne Persisch
Doch immer erscheint Muhammads Bild durch Missgunst und Einseitigkeit getrübt in der Geschichte, und doch bedeutet das von ihm Geschaffene, sobald man die Welt nicht durch die Gymnasialbrille betrachtet, eine grössere Umgestaltung und nachhaltigere Wirkung, als die lediglich vom Ehrgeiz diktierten Taten eines Cäsar oder Alexander.
Der Islam stellt die zusammenfassende Vollendung morgenländischer Kulturen dar, die das blasierte und brutale Römertum, welches selbst niemals einen originellen Künstler oder Denker hervorgebracht hat, jeden blöden Aberglauben und Götzenkult eine Stätte bereitete und in versimpelter Unfähigkeit, Grosses zu verstehen, den Meister der Bergpredigt mit unzähligen Märtyrern der Freiheit ans Kreuz schlug, bis auf geringe Reste vernichtet hatte.
Wie die urchristliche Idee mit ihrer Gleichgültigkeit gegen den Staat gleichsam als ein Protest gegen die Vergewaltigung der Menschheit durch das Römertum austritt, so erscheint der Islam nach anfänglicher Unklarheit als ein Protest gegen die Tendenzen des römischen Epigonentums, die bilderanbetenden Byzantiner.
Die Mannigfaltigkeit der Entwickelungen vor verständnisloser Nivellierung wahrend und in sich aufnehmend, schlug der Islam die Brücke zwischen der fernen Osten und dem Abendland und überlieferte uns so die Grundlagen unserer Kultur: das Papier, die Vorbedingung der Rentabilität des Buchdrucks, der stets in dessen Gefolge auftritt, den Kompass, den Erweitere unseres Horizonts über das enge Mittelmeerbecken hinaus, die Mull, den Schlussstein unseres Zahlensystems, welcher allein die ungeheuren Fortschritte der Mathematik, Astronomie und Technik ermöglichte.
Experiment und Sprachenkenntnis sind die wichtigsten Voraussetzungen moderner Kultur und Bildung. Es ist das Verdienst Eilhard Wiedemanns, in zahlreichen Schriften die bedeutenden Leistungen islamischer Forscher, namentlich auch auf dem Gebiete des Experiments, klargestellt zu haben. Ibn al-Haitham und Kemaleddin verwendeten es nach seinem Urteil bisweilen in einer Weise, dass selbst moderne Physiker nicht scharfsinniger verfahren könnten. Und auch in der Kunst, welche im Mittelalter eine zentrale Stellung unter den Künsten einnahm, der Baukunst, schuf der Islam neue Formen, welche sie vom klassizistischen Rezept der Gebundenheit an enge Verhältnisse, das mit jeder Vergrösserung in seiner Hilflosigkeit selbst die einzelnen Stufen zu unersteigbarer Höhe wachsen lassen musste, zu geistigem Leben erlöste. Man empfindet wohl, dass auch hier eine innigere Wesensverwandtschaft zwischen Gotik und Islam besteht, als zwischen dem Norden und der ihm nun einmal heterogenen Klassik. Auf dem gebiet des Kunstgewerbes zeigt namentlich die Textilindustrie des Abendlands starke Beeinflussung von seiten des Islam, ich will nur an die hohe Wertung berühmter Orientteppiche bei uns erinnern.
Auf religiösem Gebiet ist der Sinn für das Gemeinsame durch die im Eingang erwähnten Faktoren noch immer unterdrückt; man übt noch mit einem meist unbewussten Fanatismus zunächst an der Persönlichkeit des Propheten eine Kritik, deren Massstäbe auch auf jedem andern Gebiet alles Ideale zerstören würden. Theodor Nöldeke brachte mir noch kürzlich in einem Gespräch zum Bewusstsein, wie kümmerlich die Stellung eines Zar, eines Stammfremden Schützlings, nach arabischen Begriffen war; und was hat Muhammed aus dieser seiner Stellung in Medina zu machen verstanden! Welch gewaltige Persönlichkeit der Prophet gewesen sein muss, erkennen wir am besten aus den uns noch nicht lange erschlossenen Liedern eines altarabischen Dichters (Rais ibn al-Khatim), die uns einen Einbild in den tödlichen hass der beiden feindlichen Stämme Medinas gewähren, die Muhammed zu gemeinsamen Werke zu einen wusste. Und doch war die Politik weder der Ausgangspunkt noch das Endziel dieses Werkes. Vielmehr war Muhammed ein Gottessucher, ein Talib, und ich bin überzeugt, dass der familiärname (die Kunja) seines Onkels Abu Talib nicht auf einen diesem angedichteten Sohn zurückgeht, sondern ihn als väterlichen Beschützer seines Neffen charakterisieren sollte.
Der Islam ist das klassische Gebiet der Gottessucher, wenn auch als solches im Abendland wenig bekannt. Männer, welche über die Grenzen der Erscheinungswelt hinaus, die sie als Sinnentrug erkannt, nach dem Urgrund der Dinge forschend, das grosse Rätsel der alten Sphinx zu lösen trachteten und in der Ekstase die Erleuchtung gefunden glaubten, hat der Sufismus, der namentlich in den Derwischorden blühte, in grosser Zahl hervorgebracht. Verwandtes Sehnen hat auch das Abendland erfüllt und in den Schöpfungen der Spät=Gotik seinen Abglanz gefunden; in der Gegenwart ward es durch das von der Veräusserlichung und Verknöcherung kirchlicher Formen nicht befriedigte religiöse Bedürfnis wieder zu einer geistigen Macht erweckt; Buddhismus, Behaismus, Theosophie und Anthroposophie haben ihre Siegeszüge durch Deutschland gehalten; Omar Khajjam bildet in England und America grosse Gemeinden. Und dabei ist gerade dieser bedeutende Naturforscher seine tiefe religiöse Natur; vielmehr sind die grössten Meister des Morgenlands dem Abendland noch fast unbekannte Grössen.
Wer sich in ihre Welt vertiefen will, der lerne Persisch und lese zunächst die beiden Bände der Teskiret ul=ewlija des Ferideddin Attar, dann wage er sich an die Sufischen Dichter.
Die Flickarbeit jener islamischen Theologen, die einen Kompromiss zwischen einer in der Mystik wurzelnden Frommgkeit und einer aus griechischer Sophistik geborenen Dogmatik schaffen wollten, ist wie die Pedanterie der meisten Gaselen=Kommentatoren, welche für dichterische Werte nicht das geringste Verständnis zeigen, von untergeordneter Bedeutung.
Das, wodurch sich der werdende Sufi von der Menge unterscheidet, ist, dass er nicht mehr in den Tag hineinlebt, sondern das Rätsel des Daseins als solches empfindet. Er gelangt aus der Gaflet, der gleichgültigen Blasiertheit gegen tiefere Erkenntnis, zu ihrem Gegenteil, dem Sikir. Die vergängliche Lust der Sinne beginnt er zu verachten und abzutöten; doch ist ihm Askese höchstens eine Vorstufe zu dem Ziel, das er erstrebt. Bald lernt er den Dünkel der Gesetzesgerechtigkeit als eine Klippe meiden und das
Pharisäertum bekämpfen; in den Paradieseshoffnungen erkennt er begehrende Sinnlichkeit und fordert von sich die Verachtung beider Welten; des Diesseits und Jenseits.
In Paradies und Hölle sieht der Eingeweihte Seelenzustände, bildliche Vergröberungen etwa des guten und schlechten Gewissens. Das Gebet erscheint dem Sufi, der nichts begehrt, oft minderwertig, wie er denn überhaupt die Formen des Kultus allmählich als Äusserlichkeiten gering einschätzt gegenüber der Liebe zu Göttlichen und so zu
einer Gleichwertung der verschiedenen Religionen gelangt. Zeit Ibn al=Arabi sahen die Mystiker diese Lehre in den Koranworten (2, 109): „Gott gehört das Morgenland und das Abendland, und wohin ihr euch wendet, dort ist das Antlitz Gottes“, die in Goethes
einen etwas schwächlichen Nachhall gefunden haben.
Der einmaligen Offenbarung durch ein vom Himmel
gesandtes Buch stellt der Sufi als höheren Wert die ewige Offenbarung des Herzens entgegen, denn er hat die Gottheit in sich und in der gesamten Natur erkannt, wodurch sich die Welt zu einer Einheit zusammenschliesst. Anfänglich stellt sich diese Gewissheit nur in ekstatischen Zuständen ein, wird aber allmählich auf dem mystischen Pfade zu dauerndem Besitz.
Woher stammen nun diese Sufischen Ideen?
Der Islam ist ein grosses Sammelbecken von Alt-orientalischen, Ostasiatischem und Hellenistischem; die klassizistische unserer Schulbildung verleitet uns in der Regel, letzteres Element zu überschätzen.
Augustin’sche Jenseits=Mystik steht in schroffestem
Widerspruch zu dem indischen Grundsatz des Sufismus, der Verachtung der beiden Welten. Der Neuplatonismus erstrebt eine Vergottung des Individuums, der Sufismus aber gerade eine Selbstvernichtung. Die sufische Idee des Fana, der Auflösung, entspricht dem indischen Nirwana, der ewigen Ruhe; Ruhe und Glück erscheinen auch bei persischen Dichtern als engverwandter Begriff.
Der Schritt vom Pantheismus zum Atheismus ist leicht; wie indische, haben ihn auch arabische Denker getan, worauf ich im 20. Bande der Türkischen Bibliothek, G. XXVIII, hingewiesen habe. Auch die Rolle, welche die Versenkung auf Kosten des bei einigen Derwischorden vernachlässigten Gebets spielt, deutet wieder nach Indien.
Die Verehrung, welche bei jenen meist „Ali geniesst, entspricht dem Rama=Kult indischer Bettelmönche“.
Von zahlreichen islamischen heiligen wird die Wundergabe berichtet, ihre Todesstunde vorauszuverkünden; derselbe Zug findet sich bereits in der Buddhalegende und im Evangelium. Letzteres bietet überhaupt zahlreiche Parallelen zu der Gedankenwelt der Sufis; in ihr lebt das „Tewekkul“, das unbegrenzte Gottvertrauen, genau in demselben Extrem, wie in der Bergpredigt. Der Rolle des Pharisäers entspricht in der Gaselenpoesie der gesetzesgerechte Shahid, und der des Samariters häufig ein verachteter Jude oder sonstiger Ungläubiger.
Manchmal berührt sich das Derwischtum noch mit dem Prophetentum des Alten Bundes. Der Mantel des Meisters spielt dort noch heute dieselbe Rolle, wie zu Elias Zeiten; er ist die Legitimation des Jüngers für seinen geistlichen Nachfolger.
Es ist namentlich die Kunstform des Gasels, welche die Sufischen Seelenzustände in glühenden Farben zu schildern weiss. Der Ideengehalt ist ein für allemal gegeben; die Kunst des Dichters gilt wesentlich der Sprachlichen Form. Die Wirkung solcher Dichtungen und ihr Zweck werden natürlich völlig zerstört, wenn man der deutschen Sprache heterogene Sprach und Reimstümpereien, die nur den Philologen interessieren, für getreue Übersetzungen ausgibt. Wer für den Wohllaut hoher Sprachkunst sein Organ besitzt, darf sich nicht zum Interpreten ihrer Meister aufwerfen. Die Dichter schufen, um einen Eindruck hervorzurufen; sie waren nicht auf Phrasen Zustandsakkusative und ähnliche Äusserlichkeiten versessen, die in einer fremden Sprache, oft verständnislos kopiert, bisweilen gerade die entgegengesetzte als die gewollte Wirkung auslösen. Um ein Gasel zu übertragen, muss man zunächst in philologischer Arbeit den Ideengehalt scharf erfasst haben, dann aber die Fähigkeit besitzen, sich in eine Stimmung zu versetzen, die etwa der des Schaffenden Dichters entspricht. Je mehr man an Äusserlichkeiten klebt, deren
rohe Nachahmung seine Kunst erfordert, desto wesensfremder bleibt man in der Regel dem Original.
Die hier mitgeteilten Versuche, zum Teil bereits früher in verschiedenen heften der „Grenzboten“ veröffentlicht, sind teils freie Nachdichtungen, teils ziemlich wortgetreue Übersetzungen; zu letzteren gehören Nr. 4 (--Hafis, Ausg. Brockhaus Nr. 459) und Nr. 28. In die Sufischen Gedankengänge habe ich mich so hineingelebt, dass ich mich nicht ängstlich an Phrasen zu klammern brauche, sondern sicher bin, mich auch da in den richtigen Bahnen zu bewegen, wo ich vom zufälligen Wortlaut der Vorbilder abweiche.
Die Veröffentlichung bezweckt ja lediglich lebendige und unmittelbare Einführung eines religiös interessierten Publikums in den Geist des Sufismus. Bei Hafis bestand die Hauptschwierigkeit in der Verdeutlichung des Doppelsinns für Hörer, denen die orientalische Symbolik nicht geläufig ist; es war dadurch geboten, oft für das Symbol die Sache einzusetzen und sich nicht so tief in sinnliche Bilder zu verlieren, wie das Original. Für die erotischen Partien vermochte ich vielfach noch seine befriedigende Form zu finden. So ist die nachtende Lockenfülle des Geliebten, die im Winde flatternd dem Auge die Welt verhüllt, dem Gottessucher Bild für die innere Wirrnis, die wieder vom geistlichen Pfade ablenkt.
Man darf im Deutschen das Bild nicht zu sehr ins Einzelne ausmalen, damit es verständlich bleibt, und ich wählte daher Nr., 3, vorletzte Gtrophe, die unpersönliche Fassung. Um einen charakteristischen Zug im Bilde des Sufismus nicht ausfallen zu lassen, gebe ich als III. noch eine Übersetzung aus Sa‘dis Bustan (Grafs Ausgabe, G.156). das klassische Altertum liebt es, den Menschen hochmütig in Gegensatz zu Tier zu stellen, auch damit eine Abkehr von der Natur bekundend, die in der platonischen Ideenlehre ihren dogmatischen Ausdruck fand. Ihm folgte das Christentum, nach dem nur der Mensch eine unsterbliche Seele hat. Anders war das Verhältnis in Indien, wo die Seelenwanderungslehre vermittelnd wirkte und das Verständnis für den natürlichen Zusammenhang nicht zerstörte). Aus Indien stammt ja auch die Hubertussage). Die als Nr. 28 und 29 mitgeteilten modernen Gedichte von „Ali dchannib atmen einen wesentlich andern Geist als die Sufische Poesie, stehen aber als moderne Polemik zu dieser in
Beziehung.
Doch immer erscheint Muhammads Bild durch Missgunst und Einseitigkeit getrübt in der Geschichte, und doch bedeutet das von ihm Geschaffene, sobald man die Welt nicht durch die Gymnasialbrille betrachtet, eine grössere Umgestaltung und nachhaltigere Wirkung, als die lediglich vom Ehrgeiz diktierten Taten eines Cäsar oder Alexander.
Der Islam stellt die zusammenfassende Vollendung morgenländischer Kulturen dar, die das blasierte und brutale Römertum, welches selbst niemals einen originellen Künstler oder Denker hervorgebracht hat, jeden blöden Aberglauben und Götzenkult eine Stätte bereitete und in versimpelter Unfähigkeit, Grosses zu verstehen, den Meister der Bergpredigt mit unzähligen Märtyrern der Freiheit ans Kreuz schlug, bis auf geringe Reste vernichtet hatte.
Wie die urchristliche Idee mit ihrer Gleichgültigkeit gegen den Staat gleichsam als ein Protest gegen die Vergewaltigung der Menschheit durch das Römertum austritt, so erscheint der Islam nach anfänglicher Unklarheit als ein Protest gegen die Tendenzen des römischen Epigonentums, die bilderanbetenden Byzantiner.
Die Mannigfaltigkeit der Entwickelungen vor verständnisloser Nivellierung wahrend und in sich aufnehmend, schlug der Islam die Brücke zwischen der fernen Osten und dem Abendland und überlieferte uns so die Grundlagen unserer Kultur: das Papier, die Vorbedingung der Rentabilität des Buchdrucks, der stets in dessen Gefolge auftritt, den Kompass, den Erweitere unseres Horizonts über das enge Mittelmeerbecken hinaus, die Mull, den Schlussstein unseres Zahlensystems, welcher allein die ungeheuren Fortschritte der Mathematik, Astronomie und Technik ermöglichte.
Experiment und Sprachenkenntnis sind die wichtigsten Voraussetzungen moderner Kultur und Bildung. Es ist das Verdienst Eilhard Wiedemanns, in zahlreichen Schriften die bedeutenden Leistungen islamischer Forscher, namentlich auch auf dem Gebiete des Experiments, klargestellt zu haben. Ibn al-Haitham und Kemaleddin verwendeten es nach seinem Urteil bisweilen in einer Weise, dass selbst moderne Physiker nicht scharfsinniger verfahren könnten. Und auch in der Kunst, welche im Mittelalter eine zentrale Stellung unter den Künsten einnahm, der Baukunst, schuf der Islam neue Formen, welche sie vom klassizistischen Rezept der Gebundenheit an enge Verhältnisse, das mit jeder Vergrösserung in seiner Hilflosigkeit selbst die einzelnen Stufen zu unersteigbarer Höhe wachsen lassen musste, zu geistigem Leben erlöste. Man empfindet wohl, dass auch hier eine innigere Wesensverwandtschaft zwischen Gotik und Islam besteht, als zwischen dem Norden und der ihm nun einmal heterogenen Klassik. Auf dem gebiet des Kunstgewerbes zeigt namentlich die Textilindustrie des Abendlands starke Beeinflussung von seiten des Islam, ich will nur an die hohe Wertung berühmter Orientteppiche bei uns erinnern.
Auf religiösem Gebiet ist der Sinn für das Gemeinsame durch die im Eingang erwähnten Faktoren noch immer unterdrückt; man übt noch mit einem meist unbewussten Fanatismus zunächst an der Persönlichkeit des Propheten eine Kritik, deren Massstäbe auch auf jedem andern Gebiet alles Ideale zerstören würden. Theodor Nöldeke brachte mir noch kürzlich in einem Gespräch zum Bewusstsein, wie kümmerlich die Stellung eines Zar, eines Stammfremden Schützlings, nach arabischen Begriffen war; und was hat Muhammed aus dieser seiner Stellung in Medina zu machen verstanden! Welch gewaltige Persönlichkeit der Prophet gewesen sein muss, erkennen wir am besten aus den uns noch nicht lange erschlossenen Liedern eines altarabischen Dichters (Rais ibn al-Khatim), die uns einen Einbild in den tödlichen hass der beiden feindlichen Stämme Medinas gewähren, die Muhammed zu gemeinsamen Werke zu einen wusste. Und doch war die Politik weder der Ausgangspunkt noch das Endziel dieses Werkes. Vielmehr war Muhammed ein Gottessucher, ein Talib, und ich bin überzeugt, dass der familiärname (die Kunja) seines Onkels Abu Talib nicht auf einen diesem angedichteten Sohn zurückgeht, sondern ihn als väterlichen Beschützer seines Neffen charakterisieren sollte.
Der Islam ist das klassische Gebiet der Gottessucher, wenn auch als solches im Abendland wenig bekannt. Männer, welche über die Grenzen der Erscheinungswelt hinaus, die sie als Sinnentrug erkannt, nach dem Urgrund der Dinge forschend, das grosse Rätsel der alten Sphinx zu lösen trachteten und in der Ekstase die Erleuchtung gefunden glaubten, hat der Sufismus, der namentlich in den Derwischorden blühte, in grosser Zahl hervorgebracht. Verwandtes Sehnen hat auch das Abendland erfüllt und in den Schöpfungen der Spät=Gotik seinen Abglanz gefunden; in der Gegenwart ward es durch das von der Veräusserlichung und Verknöcherung kirchlicher Formen nicht befriedigte religiöse Bedürfnis wieder zu einer geistigen Macht erweckt; Buddhismus, Behaismus, Theosophie und Anthroposophie haben ihre Siegeszüge durch Deutschland gehalten; Omar Khajjam bildet in England und America grosse Gemeinden. Und dabei ist gerade dieser bedeutende Naturforscher seine tiefe religiöse Natur; vielmehr sind die grössten Meister des Morgenlands dem Abendland noch fast unbekannte Grössen.
Wer sich in ihre Welt vertiefen will, der lerne Persisch und lese zunächst die beiden Bände der Teskiret ul=ewlija des Ferideddin Attar, dann wage er sich an die Sufischen Dichter.
Die Flickarbeit jener islamischen Theologen, die einen Kompromiss zwischen einer in der Mystik wurzelnden Frommgkeit und einer aus griechischer Sophistik geborenen Dogmatik schaffen wollten, ist wie die Pedanterie der meisten Gaselen=Kommentatoren, welche für dichterische Werte nicht das geringste Verständnis zeigen, von untergeordneter Bedeutung.
Das, wodurch sich der werdende Sufi von der Menge unterscheidet, ist, dass er nicht mehr in den Tag hineinlebt, sondern das Rätsel des Daseins als solches empfindet. Er gelangt aus der Gaflet, der gleichgültigen Blasiertheit gegen tiefere Erkenntnis, zu ihrem Gegenteil, dem Sikir. Die vergängliche Lust der Sinne beginnt er zu verachten und abzutöten; doch ist ihm Askese höchstens eine Vorstufe zu dem Ziel, das er erstrebt. Bald lernt er den Dünkel der Gesetzesgerechtigkeit als eine Klippe meiden und das
Pharisäertum bekämpfen; in den Paradieseshoffnungen erkennt er begehrende Sinnlichkeit und fordert von sich die Verachtung beider Welten; des Diesseits und Jenseits.
In Paradies und Hölle sieht der Eingeweihte Seelenzustände, bildliche Vergröberungen etwa des guten und schlechten Gewissens. Das Gebet erscheint dem Sufi, der nichts begehrt, oft minderwertig, wie er denn überhaupt die Formen des Kultus allmählich als Äusserlichkeiten gering einschätzt gegenüber der Liebe zu Göttlichen und so zu
einer Gleichwertung der verschiedenen Religionen gelangt. Zeit Ibn al=Arabi sahen die Mystiker diese Lehre in den Koranworten (2, 109): „Gott gehört das Morgenland und das Abendland, und wohin ihr euch wendet, dort ist das Antlitz Gottes“, die in Goethes
„Gottes ist der Orient,
Gottes ist der Okzident“
Gottes ist der Okzident“
einen etwas schwächlichen Nachhall gefunden haben.
Der einmaligen Offenbarung durch ein vom Himmel
gesandtes Buch stellt der Sufi als höheren Wert die ewige Offenbarung des Herzens entgegen, denn er hat die Gottheit in sich und in der gesamten Natur erkannt, wodurch sich die Welt zu einer Einheit zusammenschliesst. Anfänglich stellt sich diese Gewissheit nur in ekstatischen Zuständen ein, wird aber allmählich auf dem mystischen Pfade zu dauerndem Besitz.
Woher stammen nun diese Sufischen Ideen?
Der Islam ist ein grosses Sammelbecken von Alt-orientalischen, Ostasiatischem und Hellenistischem; die klassizistische unserer Schulbildung verleitet uns in der Regel, letzteres Element zu überschätzen.
Augustin’sche Jenseits=Mystik steht in schroffestem
Widerspruch zu dem indischen Grundsatz des Sufismus, der Verachtung der beiden Welten. Der Neuplatonismus erstrebt eine Vergottung des Individuums, der Sufismus aber gerade eine Selbstvernichtung. Die sufische Idee des Fana, der Auflösung, entspricht dem indischen Nirwana, der ewigen Ruhe; Ruhe und Glück erscheinen auch bei persischen Dichtern als engverwandter Begriff.
Der Schritt vom Pantheismus zum Atheismus ist leicht; wie indische, haben ihn auch arabische Denker getan, worauf ich im 20. Bande der Türkischen Bibliothek, G. XXVIII, hingewiesen habe. Auch die Rolle, welche die Versenkung auf Kosten des bei einigen Derwischorden vernachlässigten Gebets spielt, deutet wieder nach Indien.
Die Verehrung, welche bei jenen meist „Ali geniesst, entspricht dem Rama=Kult indischer Bettelmönche“.
Von zahlreichen islamischen heiligen wird die Wundergabe berichtet, ihre Todesstunde vorauszuverkünden; derselbe Zug findet sich bereits in der Buddhalegende und im Evangelium. Letzteres bietet überhaupt zahlreiche Parallelen zu der Gedankenwelt der Sufis; in ihr lebt das „Tewekkul“, das unbegrenzte Gottvertrauen, genau in demselben Extrem, wie in der Bergpredigt. Der Rolle des Pharisäers entspricht in der Gaselenpoesie der gesetzesgerechte Shahid, und der des Samariters häufig ein verachteter Jude oder sonstiger Ungläubiger.
Manchmal berührt sich das Derwischtum noch mit dem Prophetentum des Alten Bundes. Der Mantel des Meisters spielt dort noch heute dieselbe Rolle, wie zu Elias Zeiten; er ist die Legitimation des Jüngers für seinen geistlichen Nachfolger.
Es ist namentlich die Kunstform des Gasels, welche die Sufischen Seelenzustände in glühenden Farben zu schildern weiss. Der Ideengehalt ist ein für allemal gegeben; die Kunst des Dichters gilt wesentlich der Sprachlichen Form. Die Wirkung solcher Dichtungen und ihr Zweck werden natürlich völlig zerstört, wenn man der deutschen Sprache heterogene Sprach und Reimstümpereien, die nur den Philologen interessieren, für getreue Übersetzungen ausgibt. Wer für den Wohllaut hoher Sprachkunst sein Organ besitzt, darf sich nicht zum Interpreten ihrer Meister aufwerfen. Die Dichter schufen, um einen Eindruck hervorzurufen; sie waren nicht auf Phrasen Zustandsakkusative und ähnliche Äusserlichkeiten versessen, die in einer fremden Sprache, oft verständnislos kopiert, bisweilen gerade die entgegengesetzte als die gewollte Wirkung auslösen. Um ein Gasel zu übertragen, muss man zunächst in philologischer Arbeit den Ideengehalt scharf erfasst haben, dann aber die Fähigkeit besitzen, sich in eine Stimmung zu versetzen, die etwa der des Schaffenden Dichters entspricht. Je mehr man an Äusserlichkeiten klebt, deren
rohe Nachahmung seine Kunst erfordert, desto wesensfremder bleibt man in der Regel dem Original.
Die hier mitgeteilten Versuche, zum Teil bereits früher in verschiedenen heften der „Grenzboten“ veröffentlicht, sind teils freie Nachdichtungen, teils ziemlich wortgetreue Übersetzungen; zu letzteren gehören Nr. 4 (--Hafis, Ausg. Brockhaus Nr. 459) und Nr. 28. In die Sufischen Gedankengänge habe ich mich so hineingelebt, dass ich mich nicht ängstlich an Phrasen zu klammern brauche, sondern sicher bin, mich auch da in den richtigen Bahnen zu bewegen, wo ich vom zufälligen Wortlaut der Vorbilder abweiche.
Die Veröffentlichung bezweckt ja lediglich lebendige und unmittelbare Einführung eines religiös interessierten Publikums in den Geist des Sufismus. Bei Hafis bestand die Hauptschwierigkeit in der Verdeutlichung des Doppelsinns für Hörer, denen die orientalische Symbolik nicht geläufig ist; es war dadurch geboten, oft für das Symbol die Sache einzusetzen und sich nicht so tief in sinnliche Bilder zu verlieren, wie das Original. Für die erotischen Partien vermochte ich vielfach noch seine befriedigende Form zu finden. So ist die nachtende Lockenfülle des Geliebten, die im Winde flatternd dem Auge die Welt verhüllt, dem Gottessucher Bild für die innere Wirrnis, die wieder vom geistlichen Pfade ablenkt.
Man darf im Deutschen das Bild nicht zu sehr ins Einzelne ausmalen, damit es verständlich bleibt, und ich wählte daher Nr., 3, vorletzte Gtrophe, die unpersönliche Fassung. Um einen charakteristischen Zug im Bilde des Sufismus nicht ausfallen zu lassen, gebe ich als III. noch eine Übersetzung aus Sa‘dis Bustan (Grafs Ausgabe, G.156). das klassische Altertum liebt es, den Menschen hochmütig in Gegensatz zu Tier zu stellen, auch damit eine Abkehr von der Natur bekundend, die in der platonischen Ideenlehre ihren dogmatischen Ausdruck fand. Ihm folgte das Christentum, nach dem nur der Mensch eine unsterbliche Seele hat. Anders war das Verhältnis in Indien, wo die Seelenwanderungslehre vermittelnd wirkte und das Verständnis für den natürlichen Zusammenhang nicht zerstörte). Aus Indien stammt ja auch die Hubertussage). Die als Nr. 28 und 29 mitgeteilten modernen Gedichte von „Ali dchannib atmen einen wesentlich andern Geist als die Sufische Poesie, stehen aber als moderne Polemik zu dieser in
Beziehung.
Schonen wird der
Allgerechte
Einst, um Guter willen,
Schlechte;
So auch Fehler im Gedichte,
Wie der Herr die
Menschen richte!
Sa`dis Bustan
*******
HAFIS
Dring, O Jünger, unverdrossen
In des Wissens
Werte ein, ---
Nur auf Pfaden, selbsterschlossen,
kannst du andern Führer sein,---
Dort, wo in der Wahrheit hallen
Als Berater Liebe lehrt,
bis der Schüler einst von
allen
als ein Vater
wird verehrt.
Zu dem höchsten Ziel gelange,
Niedern Trieben abgewandt;
ist um Brot
und Schlaf dir
bange,
hast du Liebe
nie gekannt.
Wenn der Gottesminne
Wonne
Herz und Seele
dir erfüllt,
ist’s als
ob im Glanz
der Sonne
aller Welten
Sein enthüllt.
Wasch den
Körper von der
Erde
Gleich dem
Wanderderwisch rein,
durch den
Stein der Weisen
werde
wie des
Goldes laut’rer Schein.
Mit der
Schar der Gottvertrauten
Leuchte dir
das ew’ge Licht
Der Verklärten,
die erschauten
Hier der
Gottheit Angesicht.
*******
Ford’re nicht, dass
sich mit Sorgen
Frommer Satzung der beschwert,
Welchem Gott am
Schöpfungsmorgen
Seines Bechers Huld gewährt.
Nicht von finst’rer Pflicht betrogen,
Die des Frömmlers
Triebe bannt,
hab‘ die Waschung ich vollzogen
Wo der Liebe Quell ich
fand.
Reiche mir den
Becher wieder,
Seine Klarheit zu ergründen:
Vom Erweder meiner Lieder
Will ich Wahrheit
dir verkünden.
Wo dem Sünder,
der verloren
Irrt vom Pfade, winkt
das heil,
An des Allerbarmers Toren
Wird auch Gnade dir
zuteil.
*******
Ich harre auf
den Morgenwind
In Wüsten pfadverloren,
Wann endlich wird des
Ofens Kind,
Der neue Tag, geboren?
An heil’ger Stätte steh
ich hie
Im gottgeweihten Tale,
Doch lodern nicht vom
Siani
Die flammenden Fanale.
Der Erdenwaller ward
verflucht,
Am Denken zu verzagen,
Drum, wer im Werden Klarheit
sucht,
Soll in den Schenken
fragen.
Ein Lied, die Rose
blüht,
die Sonne glänzt im
Becher,
Wo weilt der Freund,
dass Wonne glüht,
Dass Frohsinn kränzt den
Zecher.
*******
Die Schenke und das
Gotteshaus
Vermag ich nicht zu
scheiden,
Nachsinnend bring ich
nicht heraus,
Warum man trennt die
beiden:
Es kündet ja jedwede
Spur
Sein Walten der
Erfahrung,
Wohin ich schaue, seh‘
ich nur
Des Freundes
Offenbarung!
*******
Sa‘di
Es fand im Wüstensand
ein Mann
Einst einen Hund
verschmachtet,
Des Auge schon im
Todesbann
Vom Schlummer war
umnachtet.
Da macht die Mütze er in
Eil
Zum Eimer, aufgewunden
Hat er daran als
Brunnenseil
Sein Turbantuch
gebunden,
Er schürzt sich schnell
und streift empor
Des Armels weite Falten,
Dem Hunde, der die Kraft
verlor,
Das Wasser hinzuhalten.
Und als man dem
Propheten hat
Dir Kunde ausgerichtet,
Sprach er: „Ihm hat ob
dieser Tat
Sein Schuldbuch Gott
vernichtet.“
*******
Als Ibrahim Edhem, wie
man berichtet,
Bekehrt, auf Thron und
Herrschermacht verzichtet,
Sprach er: „An niemand
sei dein Herz gebunden,
Denn Liebe lösen schafft
gar schwere Stunden.“
Kiel, Neujahr 1922 /
Georg Jacob.
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